19.06.2019

Mit Blumen und Kanonen

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Am zweiten Donnerstag nach Pfingsten feiert die katholische Kirche Fronleichnam. Es gilt als das katholischste aller Feste.
  • Nur in knapp der Hälfte aller Aargauer Bezirke ist Fronleichnam mehrheitlich ein Feiertag.
  • In den überwiegend katholischen Teilen des Kantons finden zu Fronleichnam üppige Prozessionen mit Blumen, Fahnen, Musik und sogar Böllerschüssen statt.

 

Am zweiten Donnerstag nach Pfingsten feiert die katholische Kirche das Fest Fronleichnam. Der Name bedeutet übersetzt «Herrenleib» und leitet sich ab aus dem Althochdeutschen, wobei «vron» für «Herr» und «licham» für «Leib» steht. Im Messbuch trägt das Fest den Namen «Hochfest des Leibes und Blutes Christi». Mit dem Fest erinnern die Katholiken an die Gegenwart Jesu im Sakrament der Eucharistie. Gunda Brüske vom liturgischen Institut der Deutschschweiz sieht in der Liturgie dieses Tages Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint: «Der, der einst mit den Jüngern Mahl gehalten hat, feiert heute mit uns. Und gleichzeitig: Der, der uns einst zum himmlischen Gastmahl um seinen Tisch sammeln will, legt jene himmlische Speise schon heute auf den Altartisch in unserer Mitte.»

Zweiter Donnerstag nach Pfingsten

Anders als bei Ostern, Weihnachten, Pfingsten und den meisten anderen Festen geht Fronleichnam nicht direkt auf die Bibel zurück. Eine enge Verbindung gibt es allerdings zum letzten Abendmahl, über das die Bibel berichtet. Entstanden ist das Fest im Mittelalter. Als die Gläubigen die Kommunion nur noch sehr selten empfingen und doch voll tiefen Glaubens die Eucharistie verehrten, trat an die Stelle des Essens zunehmend der Wunsch, Christus in der Hostie zu sehen. Die Hostie wurde deshalb nach der Wandlung erhoben und schauend von den Christen verehrt. Die Augustinernonne Juliana von Lüttich (1193-1258) erblickte in mehreren Visionen eine glänzende Mondscheibe mit einer dunklen Stelle. Sie und ihre Beichtväter erkannten darin die weisse Hostie und deuteten die dunkle Stelle als Fehlen eines eigenen Festes zu Ehren der Eucharistie. So wurde zunächst in der Diözese Lüttich das Fronleichnamsfest eingeführt. Als ein hoher Würdenträger aus Lüttich Papst wurde, führte er als Urban IV. im Jahr 1264 das Fest für die ganze Kirche ein. Es setzte sich jedoch zunächst nur an wenigen Orten durch.

Dank Prozessionen zum Durchbruch

Zum Durchbruch verhalfen dem Fest die Prozessionen. «Das Sitzen in der Kirche ist ein neuzeitliches Phänomen. Vorher bewegte man sich frei im Kirchenraum und auch im Raum um die Kirche: Prozessionen in der Stadt, um die Stadt oder zu den Feldern waren nicht selten», erklärt Gunda Brüske auf liturgie.ch. So gab es die Flurprozessionen, bei der in den vier Himmelsrichtungen der Wettersegen erteilt wurde. Die ersten Prozessionen am Fronleichnamstag Ende des 13. Jahrhunderts verbanden sich mit den beliebten Flurprozessionen und steigerten so die Verbreitung des Fronleichnamsfestes. Die heute noch vielerorts üblichen vier Stationen oder «Altäre» stammen also von den vier Himmelsrichtungen der Flurprozession ab.

«Allerschädlichstes Jahresfest»

Als in der Reformationszeit eine heftige Kontroverse um die Eucharistie entsteht – Martin Luther bezeichnete es 1527 als «allerschädlichstes Jahresfest», dem die biblische Grundlegung fehle – wird Fronleichnam katholischerseits um so festlicher begangen. Die Prachtentfaltung der Prozession und damit die Öffentlichkeitswirkung erreichten einen Höhepunkt. Die Fronleichnamsprozession wird zum spezifischen Konfessionsmerkmal. Dieser demonstrative Charakter der Fronleichnamsprozession hat sich bis in die 1950er-Jahre gehalten.

Blumen, Fahnen und Altäre

Noch heute steht im Zentrum von Fronleichnam die Prozession mit der Monstranz, dem Gefäss, in dem die geweihten Hostien aufbewahrt sind. Meist geht der Pfarrer mit der wertvoll verzierten Monstranz unter einem Baldachin, dem «Himmel». In vielen Gemeinden werden die Prozessionswege besonders geschmückt mit Fahnen und kleinen Altären. In einigen Pfarreien streuen Kinder Blumen auf den Weg, an anderen Orten werden aus Blüten prächtige Blumenteppiche gesteckt. Zur traditionellen Feier gehören Männer in Uniform und Frauen in Trachten sowie die Blasmusik. Auch Böllerschüsse ertönen an diesem Tag. In Muri feuert die 1618 gegründete Michaelsbruderschaft Böllerschüsse aus ihrer Kanone ab. In Wettingen baut die Emaus-Bruderschaft in ehrenamtlicher Arbeit den Altar und Gottesdienstplatz auf und schiesst während der Feier vom Waldrand aus einige Böllerschüsse ab.

Zweigeteilter Aargau

Fronleichnam oder «Hergottstag», wie er auch genannt wird, teilt den Kanton Aargau in zwei Lager, wie sich auf der Übersichtskarte zeigt. Traditioneller Feiertag mit Böllerschüssen, Prozessionen und Gottesdiensten in den katholischen Gebieten, normaler Arbeitstag in den reformierten Teilen. Fronleichnam ist laut dem Online-Verzeichnis feiertagskalender.ch in rund der Hälfte aller Aargauer Gemeinden ein Feiertag. Mehrheitlich als Feiertag gilt Fronleichnam in den fünf Bezirken Baden, Bremgarten, Laufenburg, Muri und Zurzach. Die grössten Fronleichnamsprozessionen im Kanton finden in Muri, Baden und Frick statt. Doch nahezu in jeder Pfarrei, die an Fronleichnam einen Freitag geniesst, gibt es Prozessionen oder Eucharistiefeiern im Freien.

Noch einmal im weissen Gewand

Etwas schwieriger gestalten sich Fronleichnamsfeiern für Pfarreien in Bezirken, in denen nur einzelne Gemeinden den Feiertag begehen. Wer auswärts arbeiten muss, kann beispielsweise nicht mit der Blasmusik mitmarschieren. Doch da Fronleichnam für die Erstkommunionkinder nochmals ein besonderes Fest ist, wo daran erinnert wird, dass sich Jesus uns als Brot des Lebens geschenkt hat, werden die Erstkommunikanten häufig in die Feiern einbezogen. In vielen Aargauer Pfarreien ist Fronleichnam der Tag, an dem die Erstkommunionkinder ihr weisses Gewand nochmals tragen und anschliessend abgeben. Damit nehmen auch die Angehörigen der Kinder teil, was wieder für zahlreicheres Publikum sorgt.

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