17.01.2022

Die Coronapandemie zwingt Pfarreien dazu, neue Wege zu suchen für die Gemeinschaft
Mit neuen Impulsen aus der Krise finden

Von Fabrice Müller

  • Die finanziellen Einbussen für die Kirche scheinen nach zwei Coronajahren weniger schlimm zu sein als erwartet.
  • Schwer wiegen hingegen die Einflüsse der Coronamassnahmen auf das Pfarreileben.
  • Doch mit Phantasie, digitalen Hilfsmitteln und viel Engagement findet christliche Gemeinschaft trotzdem statt.

Kamera läuft, Film ab! So oder ähnlich tönte es vor Heiligabend in der Pfarrkirche Stein. Der Kinder- und Jugendchor probte ein letztes Mal das Weihnachtsmusical. Anschliessend trugen zwei ehrenamtliche Pfarreiangehörige und die Seelsorger verschiedene besinnliche Texte vor. Stets mit dabei, das Filmteam Bjarne und Fridolin. Die beiden Jugendlichen filmten alle Szenen, bis der ganze Weihnachtsgottesdienst im Kasten war. Danach schnitten sie ihre Aufnahmen am Computer zu einem Film zusammen, der am 24. Dezember an alle Abonnenten der WhatsApp-Gruppe des Seelsorgeverbandes Eiken-Stein verschickt und zusätzlich auf die Website des Seelsorgeverbandes hochgeladen wurde.

Video und WhatsApp

Spätestens mit der Coronakrise hat die Videotechnik im Seelsorgeverband Eiken-Stein Einzug gehalten. Ebenfalls aus der Coronanot geboren war zum Beispiel der Sonntagsimpuls als Ersatz für die während des Lockdowns ausgefallenen Gottesdienste. Jedes Wochenende wurden über WhatsApp Lesungen aus der Bibel, Gebete, Lieder und eine kurze Predigt an rund hundert Abonnenten aus den vier Gemeinden Eiken, Münchwilen, Sisseln und Stein und dem weiteren Umfeld verschickt.

In diesem Projekt engagierten sich das Seelsorgeteam, die Sekretärinnen und die Kirchenmusikerin gemeinsam. Auch die Erstkommunionfeiern wurden auf Video festgehalten. Wegen des hohen Besucherandrangs entschloss man sich dazu, die festlichen Messen an zwei Terminen je zweimal durchzuführen. Bei der Firmung entschied man sich für vier Firmgottesdienste am selben Tag.

Digitale Kanäle für alle

Wie eine Onlineumfrage in der WhatsApp-Gruppe des Seelsorgeverbandes Eiken-Stein ergeben hat, sind 22 Prozent der erreichten Personen unter 50 und 41 Prozent über 70 Jahre alt. «Dies zeigt, dass einerseits ein für kirchliche Begriffe ‹jüngeres› Publikum angesprochen wurde, andererseits aber auch viele ältere Personen über digitale Kanäle zu erreichen waren», sagt die Pfarreiseelsorgerin Christina Kessler. Die meisten von ihnen haben sich den Impuls, gemäss Umfrage, an allen Sonn- und Feiertagen angeschaut.

«Die spontane Initiative der Sonntagsimpulse war während der Coronazeit ein sehr wichtiger Kanal für die Seelsorge und hat viele Menschen erreicht», zieht Kessler Bilanz und spricht von einer «innovativen Form zeitgemässer Spiritualität», für die es auch nach Corona einen Bedarf gebe. «Uns fehlen zwar die zeitlichen Kapazitäten, den Impuls in der bisherigen Form weiterzuführen, doch die Erfahrungen, die wir machen durften, gehen nicht verloren.»

Krise als Chance

Die Coronakrise hat sicher in allen Pastoralräumen und Kirchgemeinden dieses Landes ihre Spuren hinterlassen. Sie hat aber auch Neues ins Leben gerufen, das vorher in dieser Form vielleicht nicht denkbar gewesen wäre. Im Pastoralraum am Mutschellen etwa wurden die Gottesdienste während des Lockdowns ebenfalls gestreamt und auf dem eigenen Youtubekanal veröffentlicht, wie Pastoralraumleiter Robert Weinbuch berichtet.

Auf der Website des Pastoralraumes konnte im vergangenen Advent jeden Tag ein neues Türchen geöffnet werden. Dahinter verbargen sich Kochrezepte, Lieder, Gebete und viele weitere Impulse, die das Seelsorgeteam vorbereitet hatte. Alles andere als alltäglich war auch die Aktion «Rent a Priest»: Wer wollte, konnte einen Seelsorger für einen Weihnachtsgottesdienst im Familien- und Freundeskreis «mieten».

Interview mit dem Samichlaus

Auf dem Mutschellen sang und sprach der Nikolaus vor der Kirchentüre zu den grossen und kleinen Kindern. | Foto: zvg
Im Advent 2021 wurden auf dem Vorplatz der Kirche, auf dem Schulweg und in anderen öffentlichen Räumen Plakate mit QR-Codes angebracht. Wer diese öffnete, erhielt Bastelvorschläge, ein Interview mit dem heiligen Nikolaus oder andere Impulse zum Advent. «Auch wenn die Nutzerzahlen nicht so hoch waren, erhielten wir doch einige sehr positive Rückmeldungen», freut sich der Pastoralraumleiter.

Über hundert Interessierte erhalten immer noch regelmässig Impulse in der WhatsApp-Gebetsgruppe. Auch ausserhalb von Liturgie und Spiritualität setzt die Kirche am Mutschellen neue Impulse: «Wir haben während des Lockdowns dabei mitgeholfen, einen Einkaufsdienst aufzubauen, und unser kirchlicher regionaler Sozialdienst unterstützt gerade auch in dieser Krisenzeit viele Menschen in Not», ergänzt Weinbuch.

Neue Kompetenzen entwickeln

Für Hansruedi Huber, Mediensprecher des Bistums Basel, hat die Coronakrise gezeigt, «dass wir verletzlich sind und unsere gewohnte ‹Normalität auf hohem Niveau› keine Selbstverständlichkeit ist». Zum einen wurden neue Kompetenzen entwickelt, insbesondere in der digitalen Kommunikation oder bei Liveübertragungen, zum andern sehen sich Seelsorge und Sozialarbeit der Kirche stärker mit Armut, familiären Konflikten und Menschen konfrontiert, die unter Ängsten leiden. «Wir haben in den letzten zwei Jahren gelernt, unsere Angebote flexibler und situationsgerechter zu gestalten», sagt Huber.

Spezialseelsorge versärkt

Als grössten Verlust, der durch die Coronakrise ausgelöst wurde, bezeichnet Luc Humbel, Präsident des Kirchenrates der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau, die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten. Die Landeskirche habe sich stets bemüht, Angebote nicht zu streichen und den Kontakt zu den Gläubigen aufrechtzuerhalten. Dies habe sich bewährt: «Der zusätzliche Aufwand lohnt sich für alle Beteiligten. Bei der Spezialseelsorge mussten die Angebote sogar verstärkt werden», erklärt Humbel. So habe zum Beispiel die Nachfrage nach Seelsorge in den Spitälern stark zugenommen.

Für Robert Weinbuch ist die Präsenz der Kirche gerade wegen der Coronakrise vielfältiger geworden: «Wir stehen mit den Menschen über andere Kanäle mehr in Kontakt, dazu gehören unter anderem längere Telefongespräche, in denen die Menschen über ihre Ängste und Sorgen sprechen.»

Mehr Einnahmen bei Opferkerzen

Welche Spuren hat die Coronakrise in finanzieller Hinsicht bisher hinterlassen? «Die Kollekten sind eher zurückgegangen, dafür wurden mehr Kerzen angezündet, weil wegen der Krise offenbar mehr Menschen individuell für eine Meditation oder ein Gebet in die Kirche kommen», berichtet Hansruedi Huber.

Im Pastoralraum am Mutschellen sind die Einnahmen aus Kollekten laut Robert Weinbuch «massiv» zurückgegangen; vielleicht auch deswegen, weil die Körbchen nicht mehr herumgereicht werden. Auf Ebene Landeskirche geht Luc Humbel nicht davon aus, dass mehr Leute aufgrund der Coronasituation aus der Kirche austreten, denn: «Unsere Angebote werden in schwierigen Zeiten eher stärker geschätzt. Zudem sind die Kirchensteuern ja einkommensabhängig.»

Steht der Kirche jetzt das gefürchtete Januarloch bevor? «Nein», betont Robert Weinbuch mit Blick auf die anstehenden Arbeiten, «wir laufen alle am Limit, denn allein die Coronaschutzkonzepte stellen uns vor grosse Herausforderungen.» Und auch wenn sich Seelsorger und Gläubige nach den gewohnten Abläufen von früher sehnten, so wolle man am Mutschellen künftig doch die eine oder andere «Coronainnovation» ins normale Pastoralprogramm aufnehmen.

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