02.05.2022

Das grosse Doppelinterview zum Konflikt in Gebenstorf-Turgi
«Morgen suchen wir weiter»

Von Marie-Christine Andres, Christian Breitschmid, Silvia Berger

  • Die Kirchgemeinde Gebenstorf-Turgi sorgt seit gut drei Jahren immer wieder für Schlagzeilen.
  • Das grosse Horizonte-Doppelinterview liefert Antworten auf einige Fragen, direkt von der Quelle.

Am polnischen Salvatorianerpater Adam Serafin und seinem Kirchenverständnis scheiden sich in Gebenstorf-Turgi nach wie vor die Geister, auch wenn er vom Bischof und den staatskirchenrechtlichen Anstellungsbehörden offiziell all seiner Ämter enthoben wurde. Pater Adam feiert, unterstützt vom Kirchenpflegepräsidenten von Gebenstorf-Turgi, Daniel Ric, und weiteren Anhängern seiner Art, nach wie vor die Messe. Auch die im vergangenen November neu gewählten Kirchenpflegemitglieder Hilde Seibert, Willy Deck und Bernhard Hollinger, die zusammen mit Andreas Zillig versuchen, dem Duo Adam/Ric Paroli zu bieten, scheinen mehr zu reagieren als zu agieren. Um die Vorgänge im Wasserschloss besser einordnen zu können, hat Horizonte beiden Parteien schriftlich exakt dieselben Fragen gestellt. Die Antworten der Parteien lesen Sie hier im je eigenen Wortlaut.

Der Konflikt in Gebenstorf-Turgi besteht seit fast vier Jahren. Was erachten Sie als Kern des Problems?
Hilde Seibert*: Der Kern des Problems liegt darin, dass mit Pater Adam Serafin im August 2015 ein Priester eingestellt worden ist, den es bis heute nicht interessiert, wo wir als Pfarrei stehen, welcher Geist bei uns herrscht. Vielmehr will er uns rücksichtslos auf seine eigene «Glaubens»-Linie bringen. Andersdenkende und Andersgläubige werden ausgegrenzt: «Sie können gehen, wenn sie das wollen», sagte er vor kurzem in TeleM1, emotionslos. In dieser Haltung wird er von der gleich denkenden 3-köpfigen alten Kirchenpflege unterstützt.
Seine Anstellung vor knapp sieben Jahren war kein Versehen. Es war im Gegenteil ein bewusster Entscheid, mit dem sich die damalige Kirchenpflege über die Warnung des Bischofs hinwegsetzte, es werde Probleme mit Pater Adam geben. Die gibt es nun seit langem, aber Daniel Ric verweigert das Gespräch darüber.
Daniel Ric: Ich bin seit zwölf Jahren Präsident der Kirchenpflege. In diesen zwölf Jahren wurde ständig gestritten, teilweise noch viel erbitterter als heute. Vieles wurde einfach nicht öffentlich ausgetragen. An diesen heimlichen Konflikten litten sehr viele Menschen. Es ist gut, dass nun öffentlich debattiert wird, was überhaupt Sinn und Zweck der Kirche ist.
Daher würde ich nicht von einem Problem reden, sondern von einer notwendigen und bereits lange fälligen Grundsatzdiskussion. Viele Menschen erkennen, dass gewisse Missstände im Bistum hausgemacht sind und nicht die Schuld der Weltkirche. Hier ist vor allem der hausgemachte Priestermangel zu nennen, der bewusst geschaffen wird und der dadurch in vielen Pfarreien zu einem Pfarreileben führt, in dem die Sakramente keine Rolle mehr spielen.

Die Kirchenpflege scheint in zwei Lager gespalten. Was ist der kleinste gemeinsame Nenner der zwei Parteien?
Seibert: In Anlehnung an Sokrates: «Wir haben den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht. Wir haben ihn nicht gefunden. Morgen suchen wir weiter.»
Ric: Ich attestiere grundsätzlich jedem Menschen, der sich in der Kirche engagiert, guten Willen. Die Auffassung zu vertreten, dass das Gegenüber das Beste für die Kirchgemeinde möchte, muss der kleinste gemeinsame Nenner sein. Darüber hinaus wird es jedoch zurzeit nicht nur bei uns schwierig, weitere gemeinsame Nenner zu formulieren, was mit der derzeitigen Sinnkrise in unserem Bistum zusammenhängt. Wenn vom Kirchenratspräsident der Landeskirche wie vom Bischofsvikar zentrale Glaubensinhalte der Kirche – wie die Bedeutung der Eucharistie – infrage gestellt werden, muss man nicht von lokalen Gremien wie den Kirchenpflegen verlangen, dass diese viele gemeinsame Nenner aufweisen werden.

Was ist Ihrer Ansicht nach Ihre wichtigste Aufgabe als Kirchenpflegemitglied?
Seibert: Endlich wieder die Interessen der Kirchgemeinde nach innen und aussen zu vertreten und die uns anvertrauten Gelder verantwortungsvoll zu verwalten. So, wie das Organisationsstatut der katholischen Landeskirche es vorsieht.
Unter Beachtung des dualen Systems, von dem wir ja Teil sind, Strukturen zu schaffen, beziehungsweise zu stärken, um die Seelsorge sicherzustellen und die Arbeit der Pfarreigruppierungen auf der staatskirchenrechtlichen Ebene zu unterstützen.
Verlässlicher Partner sein für das Bistum, die Landeskirche, im Seelsorgeverband und für alle anderen Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten.
Seit unserer Amtsübernahme, im Januar dieses Jahres, ist unsere wichtigste Aufgabe jedoch: aufräumen. Das, was unter der «alten» Kirchenpflege versäumt wurde oder in falsche Bahnen gelenkt worden ist.
Ric: Die zentrale Aufgabe aller in der Kirche tätigen Menschen, vom Bischof bis zum Laien in der Kirchenpflege, muss es sein, den Menschen die Feier der Eucharistie und den Empfang der Sakramente zu ermöglichen. Ansonsten hat eine Römisch-Katholische Kirche, die Millionen von Kirchensteuern einnimmt, gar keine Daseinsberechtigung. Das bedeutet nicht, dass andere Grundvollzüge der Kirche wie die Diakonie nicht geschätzt werden. Aber wenn nicht einmal mehr das Kernangebot der Kirche gewährleistet werden kann, wie dies in vielen Pfarreien des Bistums selbstverschuldet der Fall ist, hat eine solche Kirche keine Zukunft. Daher sollte niemand überrascht sein, wenn im Kanton Aargau jedes Jahr mehr und mehr Menschen aus der Kirche austreten.

Wie kommunizieren Sie mit der «Basis» Ihrer Kirchgemeinde und wie erfahren Sie, was sich die Pfarreiangehörigen wünschen?
Seibert: Momentan noch eher unstrukturiert. Fast überall ist die Situation in unserer Kirchgemeinde Gesprächsthema. In Vereinen, bei zufälligen Begegnungen und seit zwei Wochen auch wieder in Gesprächen nach einem Gottesdienst. Wir suchen solche Gespräche ganz bewusst. Dann gibt es natürlich auch Rückmeldungen der 110er Initiativgruppe und ihrer Delegierten. Aussagekräftig waren die Wortmeldungen an der Kirchgemeindeversammlung vom November 2021, und wir werden sehr aufmerksam hören auf das, was an der ausserordentlichen KGV am 17. Mai 2022 kritisiert und gefordert wird.
Ric: Wir sind keine politische Partei oder ein weltlicher Verein, daher ist der Begriff Basis in Bezug auf die Pfarrei falsch. In Gebenstorf und Turgi leben mehr als 2500 Katholiken, von denen weder ich noch andere Kirchenpfleger mehr als einen Bruchteil kennen. Ich kann Ihnen daher nicht sagen, was sich 2500 Katholiken genau wünschen.
Ich denke, wenn jemand katholisch ist und Kirchensteuern zahlt, wünscht er sich Angebote, die der katholischen Lehre entsprechen und im Einklang mit der Weltkirche sind. Was ich mit gutem Gewissen sagen kann ist, dass ich in zwölf Jahren Kirchenpflegetätigkeit immer versucht habe, Projektwünsche, die von Pfarreiangehörigen kamen, zu unterstützen.

Welches ist momentan Ihr offizielles Publikationsorgan?
Seibert: Seit wir die Homepage unserer Kirchgemeinde www.kathkirchegetu.ch geschlossen haben: das Kantonale Pfarrblatt Horizonte. Ansonsten veröffentlichen wir unsere Mitteilungen in den Aushängekästen beider Kirchen oder lassen sie im Gottesdienst verkünden.
Ric: Wenn Sie mit offiziell meinen, was in der Kirchgemeindeordnung steht, dann ist dies «Horizonte» und «Rundschau».

Wurden darin die Beschlüsse der Kirchgemeindeversammlung vom 23. November 2021 mit dem Hinweis auf das fakultative Referendum bekanntgemacht?
Seibert: Nein. Die seinerzeitige Kirchenpflege hat am Tag nach der KGV lediglich das Ergebnis der Ergänzungswahl mit Hinweis auf die 30-tägige Einsprachefrist in den Aushang gehängt. Alle anderen Beschlüsse wurden bis heute nirgends veröffentlicht.
Ric: In der «Rundschau» wurde dies auf Wunsch der vier neuen Kirchenpflegemitglieder gemacht. Im «Horizonte» noch nicht.

Wer zeichnet für die Texte auf der Website www.roemischkatholischekirchegetu.ch verantwortlich?
Seibert: Sie sind ja immer anonym, daher weiss das ausser den Verfassern niemand. Es wurde deswegen schon von einer Person ausserhalb unserer Kirchgemeinde eine Anzeige beim Schweizer Presserat eingereicht. Mit Kopie an uns zur Information.
Ric: Pater Adam, Pfarreiangehörige und ich, je nachdem, um was es geht. Artikel zu Pfarreianlässen werden natürlich von Pater Adam verfasst.

Warum sind die Texte auf diesen Seiten nicht mit Autorennamen gezeichnet?
Seibert: Wir wissen es nicht. Vielleicht aus Scham? Vielleicht aus Angst, da die Website ja illegal ist? Aber das können nur die Autoren selbst beantworten. Unser Ruf ist zum Glück so gut und gefestigt, dass wir nicht in Verdacht geraten.
Ric: Weil die Landeskirche um Luc Humbel fast jeden Eintrag auf der Homepage, der sich kritisch zur Situation in der Landeskirche und dem Bistum äussert, mit einem eingeschriebenen Brief samt Drohungen quittiert. Das ist ein unhaltbarer Zustand und weder mit dem zweiten Vatikanum noch mit einem freiheitlichen Religionsverständnis vereinbar. Die Landeskirche fördert kritische Stimmen gegen Rom, unterdrückt jedoch auf der anderen Seite jede Kritik an Aarau oder Solothurn. Diese Doppelmoral ist unerträglich.

Die Website erweckt den Anschein, vom Seelsorgeverband Birmenstorf-Gebenstorf-Turgi betrieben zu werden. Gleichzeitig wurde dieselbe Website, mit denselben Inhalten, unter der Adresse www.kathkirchegetu.ch von der Kirchenpflege Gebenstorf-Turgi vom Netz genommen. Agieren hier Teile der Kirchenpflege in Eigenregie?
Seibert: Ja, die «alte» Zusammensetzung. Und sie verletzen damit die Rechte unserer Kirchgemeinde. Denn das Schliessen der Website war ein Mehrheitsbeschluss der Kirchenpflege, weil wir uns von vielen Inhalten distanzieren; von der Hetze, den Verleumdungen und den einseitigen, rückwärtsgewandten Beiträgen.
Ric: Die Sperrung der Homepage erfolgte ohne Protokollbeschluss. Ich finde es gegenüber den Pfarreiangehörigen falsch, eine Homepage zu sperren, ohne zu versuchen, diese selbst mit Inhalten zu füllen. Man ist gegen etwas, möchte aber keine Alternativen anbieten.
Und hier ist noch einmal zu erwähnen, dass die Landeskirche bei dieser Sperrung aktiv mitgeholfen hat. Der kirchliche Journalismus und die kirchliche Diskussion sollen lieber inhaltlich entleert werden, als dass irgendjemand ein kritisches Wort über Missstände im Bistum äussern kann.

Welche Entwicklungen der Kirchgemeinde Gebenstorf-Turgi würden Sie mit Blick auf die vergangenen vier Jahre als positiv bewerten?
Seibert:
Unsere Wahrnehmung: Die Pfarreiangehörigen sind aufmerksamer geworden, kritischer den Amtsträgern gegenüber. Ein Priester wird künftig keinen Amtsbonusvorschuss mehr erhalten. Wir sind uns bewusster geworden, dass wir wirklich Kirche sind und nicht einfach alles hinnehmen müssen. Wir tragen Verantwortung für das Wohlergehen unserer Pfarreien – und es lohnt sich, sich dafür einzusetzen.
Vier Jahre lang haben wir durch unsere eigene Kirchenpflege und Pater Adam erfahren, was es heisst, ausgegrenzt und nicht gehört, verleumdet, beschuldigt und beschimpft zu werden. Solche Erfahrungen soll künftig niemand machen müssen. Die Sensibilisierung dafür ist gewachsen.
Und eine weitere Wahrnehmung: Dieser lange Kampf für das Gute hat Menschen auch näher zusammengebracht. Und vielleicht kehren irgendwann Gläubige zurück, die ausgetreten sind, und wir können zusammen unsere Pfarreien wieder beleben und gestalten.
Ric: Die Messbesucher, die zu uns an die Messe kommen, sind viel jünger und kulturell durchmischter als früher – und zahlreicher. Wir sind nun wirklich eine katholische, allumfassende Kirche. Katholiken mit Migrationshintergrund, die bei uns die Mehrheit stellen, müssen nicht mehr in die fremdsprachigen Missionen gehen, um ihren Glauben zu leben.

Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, an welchem Punkt würden Sie heute anders handeln und auf welche Weise?
Seibert: Eigentlich nirgends. Wir waren als Initiativgruppe, als Delegierte, immer anständig und zurückhaltend im Öffentlichmachen all unserer Vorwürfe. Manchmal waren wir uns nicht ganz sicher, ob diese Zurückhaltung richtig ist, ob wir nicht fordernder, lauter auftreten müssten, ein Sündenregister öffentlich machen sollten. Das haben wir nach langen Diskussionen immer wieder verworfen und stattdessen in dem positiv formulierten Papier «Wünschen Sie sich das auch endlich wieder» unsere Vorstellung von Pfarrei, Seelsorge und Kirchenpflege formuliert.
Eigentlich würden wir wieder genau gleich handeln: Uns mit Betroffenen und Gleichgesinnten zusammentun, die vagen Vorwürfe konkret fassen, das Gespräch suchen, an die nächste Instanz gehen, Überzeugungsarbeit bei den Entscheidungsträgern leisten… Und vor allem nicht aufgeben. Dranbleiben.
Und als neue Kirchenpflegemitglieder haben wir uns vorgenommen, im Gegensatz zur «alten» Kirchenpflege personelle Warnungen des Bischofs nicht in den Wind zu schlagen, sondern sie anzuhören und uns damit auseinanderzusetzen.
Ric: Ich persönlich habe viele Fehler gemacht, das steht ausser Frage. Daher würde ich sehr vieles anders machen. Ein entscheidender Fehler war das Vorgehen beim Pastoralen Entwicklungsplan, PEP. 17 Sitzungen haben wir damals in den Jahren 2011-2014 durchgeführt, die völlig ergebnislos waren und bei denen überhaupt keine Aufbruchsstimmung zu erkennen war. Jeder hat sich nur selbst beweihräuchert und über die guten alten Zeiten gesprochen, die schon lange nicht mehr existent waren.
Dort hätte die Kirchenpflege, speziell ich, merken sollen, dass es einen Neuanfang braucht. All die Grundsatzdiskussionen, die nun hitzig und fälschlicherweise auf Personen bezogen geführt werden, hätte man damals in grösserer Ruhe führen müssen. Aber ich denke, dass dies nicht nur bei uns der Fall war, sondern im ganzen Bistum. Bischof Felix hatte nicht die Kraft, das Projekt, welches von Kardinal Kurt Koch zu Recht lanciert wurde, im Sinne einer Neuevangelisierung zu Ende zu führen.

Inwiefern stehen die Geschehnisse in Ihrer Kirchgemeinde Ihrer Meinung nach im Einklang mit den christlichen Grundwerten, nach denen sich alle Katholiken richten sollten – Stichworte: Feindes- und Nächstenliebe, Vergebung, Achtung, Respekt?
Seibert: Überhaupt nicht. Was Daniel Ric und Pater Adam unseren Pfarreien in den vergangenen Jahren zugefügt haben, hat mit christlichen Grundwerten gar nichts zu tun. Es geht dem Kirchenpflegepräsidenten und Pater Adam ausschliesslich um Machterhalt und darum, sich mit ihrer eigenen, engstirnigen Glaubenslinie durchzusetzen. Achtung und Respekt sind Ausdrücke, die wir mit ihnen nicht in Verbindung bringen.
Ric: Ich habe persönlich nichts gegen irgendjemanden, der in Bezug auf die Kirche eine andere Meinung als ich vertritt. Wie gesagt, attestiere ich jedem Menschen einen guten Willen. Aber ist es christlicher, wenn wir die Kirche einfach sang- und klanglos zugrunde gehen lassen, als dass wir nun harte Diskussionen führen? Wer sich die Austrittszahlen im Bistum Basel anschaut, weiss, dass es nun wirklich fünf vor zwölf ist. Und diese Austritte haben nur am Rande etwas mit der Weltkirche, sondern vor allem mit Missständen im Bistum selbst zu tun. Für die Protagonisten bei uns in der Kirchgemeinde ist dieser Konflikt vielleicht mühsam, aber für die Kirche selbst heilsam.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Landeskirche und des Bistums in Bezug auf Ihren Konflikt in Gebenstorf-Turgi?
Seibert: Zu Beginn waren wir mit unseren naiven Erwartungen für die Landeskirche und das Bistum sicher etwas lästig. Sie konnten sich ja nicht einfach auf unsere Seite schlagen. Sie mussten sicher sein, wer die Spaltpilze waren. Also lernten wir. Und je konkreter wir wurden, umso mehr wurden wir gehört. Bei allem achtete die Landeskirche stets sorgfältig auf ihre neutrale Rolle. Durch unsere beiden Aufsichtsanzeigen kippte die Waagschale dann aber mehr und mehr auf unsere Seite.
Auf Bistumsseite erwies sich dann auch der Wechsel zu Bischofsvikar Dr. Koledoye als Glücksfall. Er übernahm die Pfarrverantwortung für Turgi und Gebenstorf. Er war zwar nicht vor Ort, arbeitete aber intensiv an Lösungen zusammen mit Bischof Felix und Luc Humbel im Hintergrund. Zeitweise mit einem Aufwand von weit mehr als 50 Prozent seines Arbeitspensums.
Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit lassen sich sehen: Der Kirchenrat hat seine Aufsichtspflicht wahrgenommen und Pater Adam vor mehr als einem Jahr entlassen. Der Bischof hat Pater Adam die Missio entzogen und ihm verboten, in Gebenstorf und Turgi Gottesdienste zu planen oder durchzuführen. Bischofsvikar Koledoye hat Pfarrer Hans-Peter Schmidt die Missio als Pfarradministrator erteilt.
Ric: Die Landeskirche Aargau hat unter Luc Humbel den Boden des dualen Systems verlassen. Sie vermischt innerkirchliche Themen mit der Aufgabe der Landeskirche, die rechtlichen und organisatorischen Strukturen für ein gedeihliches Kirchenleben zu schaffen. Den Menschen wird suggeriert, dass die Tatsache, dass Laientheologen und Diakone im Bistum Basel Priester bei der Ausübung der Pfarrverantwortung verdrängen, ein Merkmal des dualen Systems sei, was eine völlige Pervertierung des Systems darstellt.
Damit wird die Kirche nicht nur in einen Konflikt mit der Weltkirche geführt, sondern auch mit der Kantonsverfassung, die den Katholiken erlaubt, den Pfarrer – notwendigerweise einen Priester – zu wählen und Kirchensteuern nur für kirchliche Zwecke zu erheben.
Eine katholische Kirche, die den Menschen keine Sakramente bietet, besitzt gar keine rechtlichen Grundlagen, um von den Menschen Kirchensteuern zu verlangen. Was den Bischof betrifft, denke ich, dass die Hauptaufgabe eines Bischofs wäre, seine Mitbrüder im Priesteramt zu stärken. Er sollte ein geistiger Vater aller Priester sein. Die Antwort darauf, ob er dies ist, kennt Bischof Felix selbst am besten – und auch die im Bistum wirkenden Priester.

Wieviele Kirchgemeindemitglieder aus Gebenstorf-Turgi nehmen an den Messen, die Pater Adam zelebriert, regelmässig teil?
Seibert: Es sind in der Regel zwischen fünf und zehn.
Ric: Wie bereits erwähnt, kenne ich nicht alle 2500 Katholiken aus unserer Kirchgemeinde und stehe auch nicht an der Kirchentür, um von den Menschen einen Ausweis zu verlangen. Wir sind eine katholische Kirche, keine Nationalkirche und schon gar nicht eine Dorfkirche. Schön ist, dass erstens viele Menschen kommen, dass auch Kinder und Jugendliche dabei sind und Menschen mit unterschiedlicher Herkunft.
Mich erinnert diese ganze Diskussion über die Frage, wer an die Messen kommt, an Max Frischs damaligen Ausspruch, als viele Gastarbeiter in die Schweiz kamen. Die Landeskirche und einige Exponenten des Bistums scheinen schockiert, dass Arbeiter gerufen wurden, jedoch Menschen und sogar Katholiken kamen. Die Schweiz ist halt nicht mehr so wie vor 50 Jahren, und das ist nicht die Schuld der Menschen, die nun hier sind und den Anspruch haben, gleichwertig in Gesellschaft und Kirche behandelt zu werden.

Aus welchen Pfarreien oder Regionen reisen die anderen Messbesucher an?
Seibert: Aus den Pastoralräumen Brugg-Windisch, Surbtal/Würenlingen, Siggenthal, Aargauer Limmattal und verschiedenen anderen Regionen.
Ric: Da in vielen Pfarreien kein sakramentales Leben mehr stattfindet und die Eucharistiefeier durch andere Formen des Gottesdienstes verdrängt wird, kommen Menschen aus verschiedenen Pfarreien zu uns. Das ist auch jedem Katholiken erlaubt. Ich wurde im Ausland noch nie gefragt, ob ich Italiener, Franzose oder Deutscher bin, als ich an eine Messe ging. Wieso ist dies bei uns im Bistum anders?

Was ist nötig, um die Situation zu beruhigen und zu einem friedlichen Miteinander zu finden?
Seibert: Viel, viel Zeit, um verlorengegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Denn Daniel Ric behauptet wider besseres Wissen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wir wollten die Eucharistie abschaffen, seien gegen Priester und überhaupt gegen Sakramente. Und es braucht eine Person, wie wir sie jetzt mit Pfarrer Hans-Peter Schmidt haben: Jemand mit Mut und einer klaren Linie. Jemand, der Menschen wirklich gern hat und dem Versöhnung ein Herzensanliegen ist. Wir sind Hans-Peter Schmidt sehr dankbar, dass er die schwierige Aufgabe auf sich nimmt und unser Seelsorger ist. Wir werden ihn unterstützen, wo und wie wir nur können.
Ric: Es ist hier noch einmal wichtig zu betonen, vor welchen zwei Alternativen die katholische Kirche im Bistum Basel steht. Die Austrittszahlen und die weltweit einzigartig tiefe Partizipation an der Kirche sind im Bistum Basel so gross, dass die Kirche entweder sang- und klanglos völlig in die totale Bedeutungslosigkeit versinkt oder nun Grundsatzdiskussionen geführt werden, die wie bei uns auch heftig sein können. Ich hoffe und bete, dass nach diesen Diskussionen mehr Ruhe einkehren wird. Aber eine Friedhofsruhe schadet der Kirche.

Wie liessen sich die divergierenden Auffassungen von dem, was Kirche ist oder wie sie zu sein hat in Gebenstorf-Turgi allenfalls unter einen Hut bringen?
Seibert: Kirche hat ja nicht irgendwie «zu sein». Kirche ist das, was wir leben, miteinander gestalten. So gesehen, wäre es verbindender, von Vielfalt zu reden statt von Divergenzen. Eine Vielfalt, die als Gewinn gesehen wird und nicht als Bedrohung. Vielleicht wird es ja eines Tages möglich, allen Menschen – gleich, welcher Spiritualität – zu vermitteln, dass wir alle zusammen Kirche sind.
Ric: Durch Toleranz. Die Kirche kann von verschiedenen Gruppen 24 Stunden lang sieben Tage die Woche benutzt werden. Die Pfarreiräumlichkeiten ebenfalls. Vor vier Jahren hat Pater Adam dem damaligen Diakon und Vertretern der Initiativgruppe gesagt, sie sollen die Kirche doch für Angebote nutzen, die ihren Vorstellungen entsprechen. Es kam gar keine Rückmeldung. Ähnlich wie bei der Homepage, schafft man etwas ab, ersetzt es aber nicht durch Neues. Mit Toleranz und Gelassenheit wären viele Probleme vom Tisch. Menschen den Zutritt zur Kirche zu verbieten, ist dagegen sicherlich der falsche Weg.

Ist ein solches Nebeneinander überhaupt noch möglich, nach allem, was bisher schon geschehen ist? Welche Bedingungen müssten dazu erfüllt sein?
Seibert: Gefragt ist hier der gute, alte Wert der Toleranz. Toleranz von allen Seiten. So, wie wir es in der Vor-Adam-Zeit gekannt und gelebt haben. Bei uns soll niemand guten Willens ausgegrenzt werden. Niemand muss in den Untergrund.
Ric: Nicht nur ein Nebeneinander, sondern auch ein Miteinander ist möglich. Es gibt ja viele Veranstaltungen in unserer Kirchgemeinde, wie beispielsweise die Erwachsenenbildungsreihe, die von allen Seiten geschätzt werden. Viele Menschen in unserer Kirchgemeinde haben jedoch eine rote Linie, wenn es um die Pfarrei geht. Dies betrifft die Eucharistie. Wird die Eucharistie infrage gestellt, sehen viele Gläubige keinen Grund, Mitglied einer solchen Kirche zu sein. Hier müsste ein guter Bischof oder ein guter Bischofsvikar an vorderster Front sein, um denjenigen Menschen, welche die Feier der Heiligen Messe bekämpfen, den Sinn dieses tiefen Geheimnisses unserer Kirche zu erklären.

*Hilde Seibert hat die Fragen gemeinsam mit den Kirchenpflegemitgliedern Bernhard Hollinger, Willy Deck und Andreas Zillig beantwortet und spricht im Namen dieser Gruppe.

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