12.01.2015

Keine Schnellschüsse, aber doch Satire

Von Andreas C. Müller

Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Markus Büchel, warnt vor voreiligen politischen Entscheiden nach dem Attentat auf «Charlie Hebdo». Die Anschläge in Paris dürften nicht dazu führen, dass in der Schweiz ganze Gruppen oder Religionsgemeinschaften stigmatisiert werden. Gleichzeitig stellt sich erneut die Frage nach den Grenzen der Satire im Umgang mit Religion.

Verschiedene Schweizer Politiker fordern nach dem Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» eine Verschärfung der Gesetzgebung im Asylbereich und bei der Überwachung von verdächtigen Personen. Diese Woche berät die Staatspolitische Kommission des Nationalrats auf Antrag der SVP, ob Jihad-Rückkehrern künftig das Bürgerrecht entzogen werden kann. SVP-Nationalrat Walter Wobmann vom Egerkinger Komitee verlangte bereits unmittelbar nach dem Massaker in Paris, dass die Schweiz ab sofort keine muslimischen Flüchtlinge aus Irak und Syrien mehr aufnehmen soll. Selbst der Grüne Ständerat Luc Recordon fordert jetzt mehr Mittel für die Überwachung verdächtiger Terroristen. Politische Reaktionen wollen gut überlegt sein und sollten nicht vorschnell als Reaktion auf dieses tragische Ereignis fallen, warnt der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Grundsätzlich dürfe es nicht sein, dass «aufgrund der abscheulichen Verbrechen in Paris ganze Gruppen oder eine ganze Religionsgemeinschaft diskriminiert werden». Damit würden die Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nochmals verraten.

Politischer Aktionismus bringt nichts
Der Chefredaktor der schweizerischen jüdischen Zeitschrift «tachles», Yves Kugelmann, warnt vor einem «leeren und dummen Aktionismus». In der Schweiz biete sich die Situation anders als in Paris an. Seiner Ansicht nach zeige es die Unbedarftheit Schweizer Politiker, wenn sie mit einer solchen Situation wie dem Attentat in Paris konfrontiert sind. Kugelmann regt an, die Resultate der Untersuchungen durch die französischen Behörden abzuwarten und sich erst dann in der Schweiz in eine sachlich fundierte Diskussion einzulassen. Im Namen des Schweizerischen Rates der Religionen hat sich dessen Vorsitzender, Hisham Maizar, bereits zutiefst schockiert über den mörderischen Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» vom vergangenen Mittwoch in Paris geäussert. Der Rat stehe voll und ganz hinter der Presse-, Kunst- und Meinungsäusserungsfreiheit und verurteile den Anschlag aufs Schärfste, so Hisham Maizar. Der Rat hofft, dass der Religionsfrieden in der Schweiz und auf der Welt mit diesem feigen Anschlag nicht gefährdet werde. Er bittet «alle besonnenen Kräfte sich dafür einzusetzen, dass durch dieses Ereignis kein Keil zwischen die Religionen getrieben werden kann».

Grenzen der Satire
Doch was darf Satire und was nicht? «Satire darf jedes Thema aufgreifen, auch die Religion», sagt Urban Federer, Abt des Klosters Einsiedeln. Denn Satire mache auf wunde Punkte und Missstände aufmerksam. «Diese wunden Punkte gibt es auch bei Kirchen und Religionsgemeinschaften». Dennoch müssten gute Satirikerinnen und Satiriker merken, so Federer, «wann die Grenze zur Geschmacklosigkeit überschritten wird» – beispielsweise, wenn Satire Menschen verhöhne, nur weil sie gläubig seien oder eine andere Hautfarbe hätten. Auch für den Kapuziner Willi Anderau muss Satire nicht vor religiösen Gefühlen Halt machen. Diese nämlich seien «sehr subjektiv: Irgendjemand ist immer irgendwo verletzt». Willi Anderau appelliert deshalb an die Verantwortung des Autors, der sich fragen müsse, was er mit seiner Satire auslösen wolle: «Richtet er sein satirisches Vergrösserungsglas auf Missstände oder macht er sich über humane oder religiöse Werte lustig?»

Sich in religiöse Menschen hineindenken

Für Ingrid Grave, Dominikanerin, hat Satire Grenzen. «Wenn man Satire macht, soll man sich auch in religiöse Menschen hineindenken und sich fragen: Was könnte sie verletzen?». Ingrid Grave selbst kennt das Gefühl, in ihren religiösen Gefühlen verletzt zu werden: «Wenn ich spüre, dass jemand sich über meinen Glauben amüsiert und diesen lächerlich macht, verletzt mich das». Als Beispiel nennt sie einen Artikel, den sie kürzlich gelesen hat, in welchem es um die Entstehung der Welt ging. «Die Wissenschaft sagt, dass die Welt ganz anders entstanden ist, als es in der biblischen Schöpfungsgeschichte steht. Der Artikel stellte die Christen pauschal als naive Menschen dar, die nun ein Problem hätten. Da wird man als gläubige Christin für dumm verkauft.» Auch Willi Anderau und Urban Federer wissen um die Verletzlichkeit der eigenen religiösen Gefühle. Satire könne seine religiösen Gefühle dann verletzten, wenn sie billig sei und der Hintergrund zu wenig recherchiert wurde, weil die Satiriker «mit der Meute heulten», sagt Willi Anderau, und Urban Federer doppelt nach: «Wenn Satire meinen Glauben lächerlich macht, ohne auf Missstände hinzuweisen, einfach beleidigt um der Effekthascherei willen, dann kann sie mich verletzen.»

Georges Scherrer und Sylvia Stam/acm

 

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