28.06.2018

Pastoral der Familienvielfalt sucht Gottes Spuren

Von Anne Burgmer

  • Im Pastoralraum Region Brugg-Windisch geschah ein Paradigmenwechsel mit Blick auf die Pastoral für Familien. Brigitta Minich und Simon Meier erzählen, was es damit auf sich hat.
  • Das Bistum Basel, die Fachstelle Katechese-Medien in Aarau und Bildung und Propstei wurden auf das Engagement im Pastoralraum aufmerksam und lancieren nun einen breiten Vernetzungsprozess.

 

Ein Sprung in die virtuelle Welt der Sozialen Medien, genauer, in die Facebook-Gruppe Familienvielfalt Region Brugg-Windisch. Zahllose Fotos zeigen Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Palmen binden, Feuerwache halten, Ostern und das Kirchenjahr miteinander feiern. Man glaubt beim Betrachten der Fotos ihr Lachen zu hören.

Suche nach neuen Zugängen zu den Familien

«Manchmal kommt es mir so vor, als wenn zwischen uns, also der Kirche, und den Menschen eine dicke Mauer steht. Und ich bin im Moment dabei, viele kleine Tunnel unter dieser Mauer zu buddeln». Die Frau, die das sagt, heisst Brigitta Minich, ist Seelsorgerin im Pastoralraum Region Brugg-Windisch und für das verantwortlich, was in den fünf Kirchenzentren früher Familienpastoral hiess. Früher deshalb, weil das Team im Pastoralraumprozess diesen Begriff irgendwann aus dem Wortschatz gestrichen hat.

Simon Meier, Leiter des Pastoralraums Region Brugg-Windisch, blickt zurück und sagt: «Am Anfang stand die Erkenntnis, dass die Familien die zum Pastoralraum gehören, durch ihren Alltag stark gefordert sind. Auch durch die Frage, wo sie sich mit wieviel Gewicht und Dauer einbringen wollen. In diesen Familien wächst die Zukunft, auch die der Kirche, heran. Wir überlegten also, was für neue Zugänge wir zu den Familien finden können, was die Familien brauchen, um sich aufgehoben zu fühlen. Es entstand die Resonanzgruppe Familienpastoral. Diese sollte ein Gefäss ein, das näher bei den betreffenden Personen ist. Wir wollten verstehen, was die Bedürfnisse der Familien sind».

Überforderung durch erlernte Familienbilder

Im Laufe des Prozesses sei ihnen, so Simon Meier und Brigitta Minich, bewusst geworden, dass der althergebrachte Begriff «Familienpastoral» nicht mehr funktioniert. «Ich erinnere mich, dass eine Frau aus einer klassisch katholischen Familie, sich vom Begriff Familienpastoral nicht mehr angesprochen fühlte, weil sie meist ohne ihren Mann, nur mit ihren Kindern gekommen wäre», sagt die Theologin Brigitta Minich. Simon Meier ergänzt: «Wir sahen, wie verschieden die Realitäten und Konstellationen von Familien mittlerweile sind. Dem wollten wir in der Begrifflichkeit Respekt zollen und etablierten die Formulierung Pastoral der Familienvielfalt».

Die grosse Herausforderung formuliert Simon Meier so: «Die Männer und Frauen, die heute Eltern sind, wuchsen mehrheitlich mit dem klassischen katholischen Familienbild auf, Vater und Mutter katholisch, zwei Kinder. Sie haben dieses traditionelle Familienbild von ihren Eltern oder Grosseltern vermittelt bekommen. Doch diesen Eltern gelingt es aus ganz unterschiedlichen Gründen oft nicht, diesem scheinbar «richtigen» Bild von Familie gerecht zu werden. Wenn Eltern nicht dem entsprechen, was sie eingeprägt bekommen haben, kann das einerseits überfordern oder andererseits dazu führen, dass sie sich in der Familienphase von der Kirche abzuwenden beginnen». Ein-Eltern-Familien, Regenbogenfamilien, klassische Familien – sie alle sollen sich beheimatet fühlen im Pastoralraum Region Brugg-Windisch. Brigitta Minich verdeutlicht: «Menschen in Scheidung oder anderen nicht katholisch-konformen Beziehungen wissen, dass die nicht der kirchlichen Vorstellung entsprechen. Sie gehen noch weiter weg von der Kirche und haben das Gefühl, nicht dazuzugehören. Mit der Pastoral der Familienvielfalt versuchen wir, mit allen Familien, gleich welcher Konstellation, in Kontakt zu kommen. Wir heissen sie willkommen und bieten ihnen die Möglichkeit sich mit Anderen auszutauschen». Letztlich gehe es, so Simon Meier, um einen Paradigmenwechsel; weg von der Auffassung, die Kirche bringt Gott in die Familien, hin zu der Überzeugung, dass Gott bereits in den Familien anwesend ist. «Ich sage den Menschen, die ich anspreche, dass wir gemeinsam Gottes Spuren in ihrem Leben finden wollen, denn Gott ist bereits bei ihnen», sagt Brigitta Minich.

Notwendige Vernetzung im Bistum Basel…

Was im Pastoralraumkonzept auf einer DinA-4 Seite formuliert ist, und in der Arbeit von Brigitta Minich, den anderen Ansprechpersonen und in der Katechese umgesetzt wird, findet Anklang in den fünf Kirchenzentren – die Fotos zeigen das. Doch nicht nur im Pastoralraum Region Brugg-Windisch wird dieser Blickwechsel wahrgenommen. In der Abteilung Pastoral und Bildung des Bistums Basel wurde man auf die Arbeit im Pastoralraum aufmerksam. 2016 wurde das apostolische Schreiben «Amoris laetita – über die Liebe in den Familien» veröffentlicht. Die Schrift löste (kontroverse) Diskussionen aus. Auf dieser Grundlage wollte man sich seitens des Bistums einen Überblick darüber verschaffen, was es im Bereich Familienpastoral bereits gibt. «Im Pastoralraumkonzept der Region Brugg-Windisch wird eine «Pastoralraumkoordinatorin Familienvielfalt» erwähnt und eine Arbeitsgruppe, welche den Pastoralraum bei solchen Themen begleiten soll. Solche Stellen als «Multiplikatoren» sind von grosser Bedeutung für die Vernetzung und die Sichtbarkeit der Pastoral für Familien. Darin äussert sich auch ein «experimentierfreudiger Charakter», eine Offenheit für neue Formen in der Pastoral. In der Abteilung Pastoral und Bildung sind wir daran interessiert, solche Modelle und Erfahrungen kennenzulernen», erklärt Olivia Marsicovetere Karabulut, Fachmitarbeiterin im Pastoralamt in Solothurn.

Nun ist das Pastoralamt in Kontakt mit Brigitta Minich und Simon Meier. Die freuen sich nicht nur darüber, dass ihre Arbeit Beispielcharakter haben kann, sondern sind auch begeistert, weil das Bistum eine Art Notstand wahrnimmt. «Als wir uns im Rahmen der Pastoral Familienvielfalt umhörten, ob es auf kantonaler Ebene eine Vernetzung in Sachen Pastoral für Familien gibt waren wir schnell ernüchtert», erzählt Brigitta Minich. Es gebe im Moment schlicht kein Netzwerk für den Ideen- und Erfahrungsaustausch. Dies sei, so Simon Meier, sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass die Pastoralraumentwicklung allerorten Energie kostet, die nun für die inhaltliche Arbeit fehlt. «Wir können im Pastoralraum Region Brugg-Windisch anfangen, Sauerteig zu sein. Es ist schön, dass das Bistum auf uns zukommt, um die Vernetzung in Angriff zu nehmen», sagt der Pastoralraumleiter.

…Impulsgeber für den Kanton?

Doch auch auf Kantonsebene läuft der Prozess gleich entlang zweier roter Fäden an. Einerseits entwickelt Brigitta Minich mit der Gruppe Familienvielfalt gemeinsam mit Christiane Burgert, Projektleitung Katechese für Kleinkinder und ihre Familien an der Fachstelle Katechese-Medien in Aarau, einen Koffer für Familien mit Kindern im Alter von 0 bis 1 Jahr. Andererseits meldete sich Peter Michalik, Fachmitarbeiter Bildung und Propstei mit Schwerpunkt Paare und Familien, bei Brigitta Minich. Peter Michalik begründet seine Kontaktaufnahme so: «Es gibt nicht den einen Königsweg in der Pastoral für Familien, doch in vielen Pfarreien und Pastoralräumen entstehen Projekte und ist Interesse an Material zum Thema da. Es bildet sich im Moment, auch in Zusammenarbeit mit dem Bistum, eine Arbeitsgruppe, die sich des Themas annimmt. Das ist gut und wichtig, denn so besteht die Möglichkeit sich auszutauschen und überpfarreilich Inputs und Ideen weiterzugeben. Das Einzelkämpferdenken verschwindet langsam zugunsten einer vernetzten Zusammenarbeit. Daran können andere Pfarreien, Pastoralräume und Kantone teilhaben». Auf Ebene der Firmung gebe es etwas Ähnliches bereits. Einen jährlichen Impulstag, an dem Verantwortliche für die Firmung teilnehmen können, um sich aus den Vorschlägen und Konzepten das mitzunehmen, was in ihren Pfarreien und Pastoralräumen sinnvoll sein könnte.

Das Koffer-Projekt in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Katechese-Medien ist auf einer anderen Ebene verankert. Christiane Burgert beschreibt: «Im Rahmen des Projektes Katechese für Kleinkinder und ihre Familien diskutierten wir mit drei Pfarreien und dem Pastoralraum Region Brugg-Windisch, was für Wege begangen werden können, damit sich Familien mit Kleinkindern in der Kirche beheimatet fühlen können. Dabei geht es uns nicht darum, dass die Familien dann am nächsten Sonntag in der Kirche sitzen, sondern, dass sie Unterstützung erfahren und erleben, dass wir als Kirche Partner sein wollen und können».

Taufbäume und bunte Fahnen

Für Simon Meier und Brigitta Minich ist die Pastoral der Familienvielfalt, wie sie im Pastoralraum Region Brugg-Windisch angeboten wird, zentraler Teil von Seelsorge und Diakonie. «Unabhängig von Orientierung oder Familienmodell sollen Menschen die Erfahrung machen, dass sie nicht abgelehnt werden, sondern willkommen sind. Wir bringen Verständnis für ihre Lebensrealität auf und stellen von dort das Leben dann in den Glaubens- und Kirchenkontext», sagt Simon Meier.

Die Erfahrung angenommen zu sein und zu einer Gemeinschaft zu gehören zeigt sich neben den verschiedenen Angeboten entlang des Kirchenjahres im Pastoralraum Region Brugg-Windisch auch an scheinbaren Kleinigkeiten. Fünf gleich gestaltete Taufbäume gibt es. In jedem Kirchenzentrum einen. Jedes der Zentren hat zudem eine eigene, bunt gestaltete Fahne. Symbol für die Pastoral Familienvielfalt vor Ort. Doch die Fahne bleibt nicht im jeweiligen Ort, sondern ist mit den Fahnen der anderen Kirchenzentren auf Tour. Alle paar Monate ziehen die fünf Fahnen weiter und machen in jedem Teil des Pastoralraums Region Brugg-Windisch Halt.

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