10.03.2022

Die Umnutzung von Kirchen ist komplex, birgt aber Chancen
Profan, aber würdig

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen, werden Kirchengebäude mancherorts kaum mehr genutzt.
  • Es drängt sich die Frage auf, wie kirchliche Gebäude sinnvoll (um)genutzt werden können.
  • Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Umnutzung von Kirchen komplex ist und die Zusammenarbeit verschiedenster Partner erfordert.

Im letzten Sommer nahmen gegen 700 Personen an einer Onlinetagung teil, die neue Perspektiven der Kirchennutzung thematisierte. Der Organisator der Tagung, Johannes Stückelberger, weiss, dass Kirchenumnutzungen in den vergangenen Jahren zugenommen haben und das Thema an Aktualität gewinnt.

Stückelberger ist Kunsthistoriker und Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Uni Bern sowie Professor für Neuere Kunstgeschichte an der Uni Basel. Zudem ist er wissenschaftlicher Leiter des Schweizer Kirchenbautags, einem Projekt des Kompetenzzentrums Liturgik an der Universität Bern. Der Schweizer Kirchenbautag führt eine Datenbank über Umnutzungsprojekte von Kirchen in der Schweiz, die so nach Nutzungsart, Konfession, Ort und Kanton überblickt werden können.

18 Objekte im Aargau

Die Datenbank verzeichnet für die letzten 25 Jahre über 200 Schweizer Kirchen, die umgenutzt oder abgerissen wurden. Für den Aargau sind aktuell 18 Objekte erfasst. Bei den meisten handelt es sich um kleinere Kapellen und Gebäude von Gemeinschaften wie den Methodisten, den Neuapostolen und der Chrischonagemeinde. Darin sind heute Ateliers oder Wohnungen und sogar eine Zahnarztpraxis untergebracht.

«Thema nicht virulent»

Die Aargauer Landeskirchen sind mit je zwei Kirchen vertreten, die neu genutzt werden oder deren künftiger Zweck noch diskutiert wird: die reformierten Kirchen Villmergen und Turgi sowie die katholischen Kirchen Wohlenschwil und Boswil. Luc Humbel, der Kirchenratspräsident der römisch-katholischen Kirche im Aargau, sagte vor vier Jahren gegenüber der Aargauer Zeitung: «Das Thema ist für uns nicht so virulent. Wir haben stagnierende Mitgliederzahlen und nicht zu viele Gebäude.» An dieser Einschätzung habe sich nichts geändert, erklärt er gegenüber Horizonte. Man beobachte das Thema, um dereinst nicht überrascht zu werden.

Es sei anspruchsvoll, sinnvolle Verwendungen für Kirchen zu finden, sagt Experte Johannes Stückelberger. Für Katholiken ist die Kirche zudem ein geweihter Ort, der bei der Aufgabe einer Kirche «entweiht» oder «profaniert» werden müsse. Der Begriff profan kommt aus dem Lateinischen und bezeichnete in der Antike den Raum vor dem Tempel (pro-fanum), der im Gegensatz zum Inneren nicht heilig war.

Entwidmung obliegt dem Bischof

Das Kirchenrecht gibt einige wenige Richtlinien für die Umnutzung und Profanierung von «Heiligen Orten». Es schreibt vor, dass Die formale «Entwidmung» oder Profanierung einer Kirche dem zuständigen Diözesanbischof obliege, der allein für die Segnung oder Weihe der Kirchengebäude zuständig sei. Ebenso hält das Kirchenrecht fest, dass eine Kirche, wenn sie in keiner Weise mehr zum Gottesdienst verwendet werden kann, vom Diözesanbischof «profanem, aber nicht unwürdigem» Gebrauch zurückgegeben werden kann (Can. 1210 und 1212 sowie Can. 1222 CIC).

Profan umgenutzt, aber würdig: Büro im Bischöflichen Diözesanarchiv und Domarchiv in der ehemaligen Kirche Sankt Paul in Aachen. | Foto: kna-bild

Liturgischer Abschied

Weil ein eigener Ritus zur Profanierung von Heiligen Orten in der römisch-katholischen Kirche nicht existiert, macht die Schweizer Bischofskonferenz in ihren «Empfehlungen für die Umnutzung von Kirchen und kirchlichen Zentren» aus dem Jahr 2006 einen Vorschlag für den «Liturgischen Abschied»: «Insbesondere bei der Umnutzung von Kirchen und Kapellen soll vor der Übergabe zu einem neuen, nicht kultischen Verwendungszweck in einer liturgischen Feier Abschied genommen werden.» Nach einem Gebet werden die Hostien aus dem Tabernakel genommen und mit dem Kreuz und Heiligenfiguren in einer Prozession aus der Kirche getragen. So wird symbolisch klar: Die Kirche ist nun keine Kirche mehr.

Lieber vermieten als verkaufen

Die Richtlinien der SBK besagen auch, man solle Kirchen grundsätzlich lieber vermieten als verkaufen und primär versuchen, sie anderen religiösen Gemeinschaften der römisch-katholischen Kirche oder der katholischen Anderssprachigenseelsorge zur Verfügung zu stellen. In Betracht kämen auch  andere christliche Gemeinschaften wie orthodoxe Gemeinden, die meist über keine eigenen Kirchen oder kirchliche Zentren verfügen und auf die Hilfe der in der Schweiz öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen angewiesen seien. Wichtig sei immer, den künftigen Nutzungszweck in Verträgen schriftlich festzuhalten. 

Zwei gelungene Beispiele im Aargau

Im Aargau stehen gleich zwei Beispiele für eine gelungene Umnutzung, wie Heiko Dobler, Bauberater bei der Kantonalen Denkmalpflege erklärt. Die beiden profanierten, kantonal geschützten alten Kirchen in Boswil – seit 1991 das bekannte Künstlerhaus Boswil – und die Kirche Wohlenschwil, heute Stiftung Alte Kirche-Wohlenschwil. In beiden Fällen sei die Neunutzung des Sakralraums, dessen Unterhalt, sowie ein Geschichtsbewusstsein im Umgang mit unserem Kulturgut unter einen Hut gebracht worden.

«Die guten Beispiele werden überzeugen»

Die Schweizer Bischofskonferenz hält aber auch fest, dass kirchliche Gebäude als Orte der Begegnung das Leben prägen und oft kulturelle Bedeutung haben, die über den rein kirchlichen Bereich hinausgeht. Johannes Stückelberger erklärte gegenüber kath.ch, dass in den Gemeinden Turgi und Villmergen der Widerstand gegen den Abriss der jeweiligen reformierten Kirchen relativ breit abgestützt sei, deute darauf hin, dass es auch Kirchenfernen oft wichtig sei, dass die Kirche im Dorf bleibe. Er blickt zuversichtlich in die Zukunft. «Die guten Beispiele werden überzeugen.» Ausserdem seien Kirchenumnutzungen nichts Neues. Schon zur Zeit der Reformation seien Klöster nicht abgerissen, sondern anders genutzt worden und so erhalten geblieben.

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