28.11.2022

Der konfessionelle Religionsunterricht wird aus der Schule verdrängt
Reden über Glaube und Gott in der Schule : ein Hürdenlauf

Von Peter W. Frey

  • In den Schulen hat der konfessionelle Religionsunterricht an Stellenwert verloren.
  • Das hat einerseits mit dem Lehrplan zu tun, aber andererseits auch mit mangelnden Schulräumen.
  • Der Unterricht selbst hat sich ebenfalls stark verändert.

In der Kirche St. Paul in Rothrist an einem schulfreien Mittwochnachmittag Mitte November. Vorn, gleich neben dem Altar, sitzt Katechetin Karin Binggeli im Kreis zusammen mit zehn aufmerksamen Buben und Mädchen. Im Pfarreizentrum nebenan betreut Christiana Quaino eine zweite Gruppe. Es ist «Reli-Treff» für die Kinder der dritten Klasse. Im nächsten Frühjahr werden sie Erstkommunion feiern. Karin Binggeli erzählt, wie der Erzengel Gabriel Maria die Geburt Jesu ankündigte und welch weiten Weg Maria und Josef nach Bethlehem hatten. Als die Rede auf die drei Weisen aus dem Morgenland und ihre Gaben von Gold, Weihrauch und Myrrhe kommt, stellt sie die Frage, ob an Weihnachten nicht auch wir Christus Geschenke machen müssten. Manuel antwortet keck überzeugt: «Das machen wir ja schon, wenn wir Weihnachten feiern!»

Auswendiglernen Adieu

Religionsunterricht, nicht als Erzählen bi​blischer Geschichten im Frontalunterricht, sondern als Dialog mit den Kindern. Wie religiöses Wissen und Glaubensinhalte vermittelt werden, hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte völlig verändert. «Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil neigte sich die herkömmliche Paukschule mit dem unseligen Memorieren ihrem Ende zu», stellt der in Windisch aufgewachsene Religionspädagoge Stephan Leimgruber fest. «Meine Mutter», bestätigt Silvia Balmer von der Fachstelle Katechese-Medien in Aarau, «musste zu Beginn der Fünfzigerjahre noch den Katechismus auswendig lernen.»

Heute geht es längst nicht mehr darum, auswendig gelernte Glaubensinhalte herunterzurattern, sondern den Kindern zu helfen, eine eigene Identität zu entwickeln, religiöse Ausdrucksformen zu erwerben, christliche Werte zu vertreten und in der Liturgie den Glauben zu feiern. Der aktuelle Lehrplan spricht von Kompetenzen, die vermittelt werden sollen, einem «Ineinander von Wissen (Verständnis), Wollen (Haltung) und Anwenden (Fertigkeit)». Susanne Estermann, die neben ihrer Arbeit auf der Fachstelle in Wettingen als Katechetin arbeitet, sagt: «Das Ziel ist es, die Kinder zu einem kritischen, hinterfragenden Glauben zu erziehen.»

Schöpfung und Urknall

Konfessioneller Religionsunterricht findet heute in einem völlig anderen gesellschaftlichen Umfeld statt als noch vor dreissig oder vierzig Jahren. Die Kinder bringen auch ein ganz anderes Vorwissen in den Unterricht mit. «Wenn wir die Schöpfungsgeschichte behandeln, kommen schon Erstklässler mit dem Urknall», sagt Susanne Estermann. Da muss dann die Katechetin – Religionsunterricht erteilen zu über 90 Prozent Frauen – den Kindern verständlich machen, dass eben beides stimmt: die Schöpfungsgeschichte als theologische Aussage und der Urknall als naturwissenschaftliche These.

Kommt hinzu, dass die Glaubenspraxis abnimmt. Wohl schicken viele Familien ihre Kinder in den konfessionellen Religionsunterricht, aber praktizieren den Glauben selbst nicht mehr aktiv und können damit die Kinder in ihrem religiösen Aufwachsen und Beheimaten kaum unterstützen.

Konkurrenz der Angebote

Der von den Kirchen organisierte Religionsunterricht steht, so wird im Gespräch auf der Fachstelle Katechese-Medien mit Stellenleiter Joachim Koehn, Silvia Balmer und Susanne Estermann deutlich, unter Druck. Mit dem Lehrplan 21 für die Volksschule wurde das konfessionsneutrale Fach «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» eingeführt, das nach Beobachtung der Fachleute zeitlich und qualitativ äusserst unterschiedlich unterrichtet wird.

Mit dem Lehrplan 21 wurden auch flächendeckend Blockzeiten eingeführt. Dies hat zur Folge, dass der konfessionelle Religionsunterricht an den Schulen in den Randstunden oder ausserhalb der Schulräume stattfinden muss, am freien Mittwochnachmittag oder sogar am Samstagmorgen. Zudem steht er in Konkurrenz zu anderen freiwilligen Angeboten wie Sport oder Musikunterricht.

Abhängig von Schulleitungen

Artikel 17a des aargauischen Schulgesetzes schreibt klar vor: «Zur Erteilung des kirchlichen Religionsunterrichts sind den öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften für zwei Wochenstunden pro Abteilung innerhalb der Unterrichtszeit unentgeltlich geeignete Schulräume zur Verfügung zu stellen.» Doch die gesetzliche Vorgabe bleibt vielerorts toter Buchstabe, vor allem, weil in vielen Gemeinden der Schulraum knapp geworden ist, auch wegen neuer Unterrichtsformen. Silvia Balmer sagt: «Wir erwarten eigentlich nur Räume für eine Stunde, aber an manchen Orten bekommen wir nicht mal das.» Oder den Katechetinnen werden für den Religionsunterricht ungeeignete Räume zugewiesen; für eine Klasse von 15 Kindern zum Beispiel ein Raum, in welchem gerade mal knapp acht Kinder Platz finden. Auch sind Lehrpersonen oft nicht bereit, ihre Klassenzimmer ausserhalb der Blockzeiten Katechetinnen zur Verfügung zu stellen.

Es gibt Empfehlungen («Handreichung» genannt) zum Status und zur Organisation des kirchlichen Religionsunterrichts an der Volksschule, gemeinsam erarbeitet von den drei Landeskirchen im Aargau und dem Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS). Fachstellenleiter Joachim Koehn sagt dazu: «Damit haben wir eine Handhabe, wenn wir unsere Bedürfnisse anmelden». Aber es sind eben nur Empfehlungen. Die Gemeinden, genauer die Schulleitungen, sind autonom in ihren Entscheiden, welche Räume sie für den Religionsunterricht zur Verfügung stellen. Dies ist stark abhängig vom Schulhaus. «Wir sind auf den Goodwill der Schulleitungen angewiesen. Wo die Schulleitung offen ist gegenüber den Bedürfnissen des Religionsunterrichts, findet man eher Lösungen, mit denen beide Seiten leben können», sagt Silvia Balmer.

Ausserhalb der Schule

Verschiedene Pfarreien organisieren deshalb den konfessionellen Religionsunterricht zunehmend bewusst ausserhalb der Schulzeiten und in den Räumen der Kirchgemeinde. In Aarau zum Beispiel ist dies seit Jahrzehnten der Fall, in Aarburg und Rothrist seit mindestens zwanzig Jahren, und dies mit grossem Erfolg. Trotz Konkurrenz durch andere Freizeitaktivitäten kommen an diesem grauen Novembermittwoch in Rothrist über zwanzig Buben und Mädchen der 3. Klasse für zweieinhalb Stunden zum «Reli-Treff» im Pfarreizentrum.

Katechetin Silja Egger Marti sagt, ein wichtiges Anliegen sei es den Religionslehrerinnen, dass sich die Kinder wohl fühlen: «Sie sollen den Ort Kirche mit positiven Gefühlen und Erinnerungen verbinden.» Und sie sieht zahlreiche Vorteile des Unterrichts ausserhalb der Schule: «Wir sind nicht so unter Zeitdruck und natürlich kommen die Kinder freiwillig, was vor allem bei den älteren Schülerinnen und Schülern ein wichtiger Punkt ist.» Das andere Setting trage sicher auch dazu bei, dass man keine diszplinarischen Probleme kenne.

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