17.11.2022

Simon Meier hat von der Pfarrei- in die Spezialseelsorge gewechselt, um näher am Menschen zu sein
Seelsorge ist keine Einbahnstrasse

Von Christian Breitschmid

  • Simon Meier war Pfarreiseelsorger, Gemeinde- und Pastoralraumleiter in Brugg-Windisch.
  • Vor etwas mehr als einem Jahr wechselte er in die Spital- und Heimseelsorge.
  • Er ist also immer noch Seelsorger, aber nicht derselbe.

Phantasie müsse er haben, erklärt Simon Meier im Interview mit Horizonte, dazu Empathie und viel Eigeninitiative. Seit September 2021 arbeitet der 54-jährige Theologe als Spital- und Heimseelsorger im Spital und in der Pflegi Muri. Dies nach acht Jahren als Pfarreiseelsorger in der Region Brugg-Windisch, wo er im Auftrag des Bistums den gleichnamigen Pastoralraum aufgebaut und dann auch geleitet hat. Ein Wechsel, den er sehr bewusst vollzogen hat, wie er dem Pfarrblatt im Mai 2021 berichtete: «Ich wollte nochmals etwas Neues erleben. Ich freue mich sehr auf meine neue Aufgabe, denn ich bin Theologe geworden, um Seelsorger zu sein.»

Viel näher am Menschen

Bereut habe er seinen Wechsel bisher nicht, gibt Meier im Gespräch mit Horizonte im Pflegirestaurant Benedikt in Muri zu Protokoll: «Als Pastoralraumleiter lagen die Schwerpunkte meiner Arbeit vor allem in den Bereichen Konzeption und Umsetzung, mit viel Gewicht auf dem ganzen Personalmanagement. Meine jetzige Aufgabe beinhaltet vor allem seelsorgerische Eins-zu-eins-Be­treu­ung. Dazu kommen dann diverse Veranstaltungen mit Gruppen und, nicht zu vergessen, die Mitarbeiterseelsorge. Es ist eine sehr kreative Arbeit, bei deren Gestaltung ich vollkommen frei bin. Vor allem aber bin ich jetzt viel näher bei den Menschen als vorher.»

Das einzige, was ihm manchmal fehle, sei der Austausch im Team, wie er in der Pfarreiseelsorge noch gegeben war. «Hier muss ich viel mehr netzwerken als vorher im Pastoralraum. Die Spital- und Heimseelsorge verlangt eine starke intrinsische Motivation. Ich muss selber spüren, was ich anbieten oder tun soll, das den Menschen dient.» Und dieses Gespür hat der «spätberufene Theologe», wie er sich selber bezeichnet, der zuerst einige Jahre Primarlehrer war, dann Erziehungswissenschaften studiert hat, als Personalentwickler in einem Versicherungskonzern gearbeitet und berufsbegleitend ein Nachdiplomstudium in systemischer Organisationsberatung absolviert hat, bevor er schliesslich seine Berufung fand, Theologie studierte und Seelsorger wurde.

«…dass einfach jemand da ist»

Was die Leute von ihm brauchen, das erfährt Simon Meier vor allem durch die vielen Gespräche, die er mit Patienten, Heimbewohnern und deren Angehörigen führt. Er sucht und fördert aber genauso den Austausch mit den Mitarbeitern des Spitals und der Pflegi. Im Spital nimmt er regelmässig an den interdisziplinären Besprechungen teil, wo er nicht nur erfährt, wer seines Beistandes bedarf, sondern auch, welches Schicksal ihn am Krankenbett erwartet. «Dabei geht es oft um Sterbebegleitungen.»

Häufig werde er von den Angehörigen gerufen. Dabei habe es ihn überrascht, dass nur selten explizit nach einem Priester verlangt werde, um die Krankensalbung zu spenden; ein Sakrament, das eben nur geweihte Priester spenden dürfen. Aber es scheint, als gehe es vielen Menschen in einer solchen Situation nicht primär um das Sakrament: «Ich erteile einen Sterbesegen und bete mit allen Anwesenden. Ich merke immer wieder, dass es für die Betroffenen einfach wichtig ist, dass jemand da ist.»

Das Leben würdigen

Dasselbe gilt für die Menschen, denen Meier auf den Abteilungen für Sucht- oder Demenzerkrankungen begegnet. «Das sind, wie in der ganzen Pflege, Begleitungen, die manchmal nur eine Woche, manchmal aber auch mehrere Wochen, Monate oder sogar Jahre dauern. Da geht es ganz wesentlich darum, präsent zu sein und Unterstützung anzubieten bei dem, was diese Menschen noch wollen und noch können. Es geht darum, das Leben zu würdigen.»

Eine Haltung, die der Seelsorger auch in seinem Angebot für die Spital- und Pflegimitarbeiter erlebbar macht. Sein «jüngstes Kind», wie er es nennt, heisst «Perlen der Achtsamkeit» und ist darauf ausgerichtet, den Angestellten eine bewusste Auszeit zu verschaffen, um ihre eigene Spiritualität zu entdecken und zu leben, dabei die eigenen Ressourcen zu nutzen und – gerade im sehr anspruchsvollen und energieraubenden Umfeld der Krankenpflege und -betreuung – auch Burnoutprävention zu betreiben. Das funktioniert so, dass die Teilnehmer sich für eine Stunde zussammenfinden und dazu einen Text oder auch ein Bild mitbringen, worüber sie sich in der Gruppe austauschen möchten. Der Text wird vorgelesen, das Bild allen gezeigt, und dann spricht und meditiert die Gruppe, von Meier moderiert, gemeinsam darüber.

Gelebte Ökumene

Ganz allein ist Simon Meier natürlich nicht in seinem Seelsorgeauftrag. Im Spital Muri ist er zwar wohl regelmässig und alleine unterwegs von Zimmer zu Zimmer und von Abteilung zu Abteilung, aber seine reformierte Kollegin, Pfarrerin Brigitta Josef, ist auf Abruf ebenfalls zur Stelle. In der Pflegi bildet Meier zusammen mit seiner reformierten Kollegin, Pfarrerin Bettina Lukoschus, ein Kleinstteam, das neben der individuellen Seelsorge auch dafür sorgt, dass alle Bewohner regelmässig an Gottesdiensten teilnehmen können.

Dabei hat der katholische Theologe eine interessante Feststellung gemacht: «Wir bieten einen regelmässigen Zyklus von katholischen, reformierten und ökumenischen Gottesdiensten an. Aber für die meisten Teilnehmern spielt es keine Rolle, nach welchem Ritus der Gottesdienst gehalten wird. Sie kommen, weil sie einen Gottesdienst feiern wollen. Gottesdienste sind eine Herzenssache, das habe ich gelernt. Man muss die Leute abholen und dazu eine liturgische Form finden, durch die sie sich berührt und getragen fühlen.»

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