10.01.2022

Am 21. Januar referiert Thomas Wallimann in Muri an einem Themenabend zur Einheit der Christen
Sein Leitstern heisst Bruder Klaus

Von Christian Breitschmid

  • Der Themenabend «Einheit der Christinnen und Christen» steht ganz im Zeichen des Matthäusverses 2,2: «Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.»
  • Für den promovierten Theologen und Sozialethiker Thomas Wallimann ist dieser Evangelienvers das Leitmotiv für einen Abend des aktiven Gedankenaustausches.
  • Im Horizonteinterview erklärt der Leiter des Instituts für Sozialethik «ethik22», warum Leitsterne wichtig sind und welche Sterne ihn leiten.

Der Themenabend steht unter dem Motto: «Einheit der Christinnen und Christen». Sie rücken dabei den Vers Matthäus 2,2 ins Zentrum: «Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.» Was hat die Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland mit der Einheit der Christen zu tun?
Thomas Wallimann: Die Einheit der Christinnen und Christen ist ja als Vorstellung auch so etwas wie ein Leitstern. Wenn ich sehe, dass wir vier offizielle Evangelien haben, daneben noch inoffizielle, dann waren die Christinnen nie eine einzige homogene Gruppe, sondern immer vielfältig; und doch auf Jesus Christus bezogen. Die Frage ist also, wenn wir von der Einheit sprechen: Welches ist der Orientierungspunkt, der Leitstern, an dem sich diese Einheit misst? Dies ist wichtig, damit wir Einheit nicht mit Einheitlichkeit verwechseln.

Sterne sind gleichsam Orientierungshilfen und schmuck. | Foto: pexels
Warum haben Sie gerade diesen Vers gewählt? Die Bibel böte doch so viele andere Geschichten, in denen es tatsächlich um die Einheit geht…
Diese Stelle spricht verschiedene Ebenen an, wenn wir über Einheit nachdenken. Da sind einmal drei Menschen auf dem Weg. Sehr unterschiedlich, aber verbunden in ihrem Wunsch, den Sinn des Lebens zu finden; so würde ich jetzt einmal die Suche nach dem Messias für heute übersetzen. Sie gehen den Weg gemeinsam, orientieren sich an der Welt, reden mit den Mächtigen – Herodes – und und bleiben gleichwohl offen, das heisst, sie vergessen ihr Ziel nicht. Herodes will Kontrolle, Einheitlichkeit. Das realisieren die Drei nach dem Besuch der Krippe und gehen darum auf einem anderen Weg nach Hause.

Der Stern oder besser die Sternenkonstellation, die den Weisen den Weg gezeigt hat, können Astronomen heute erklären. Es gebe aber eine «Sterndeutung», die über die reine Naturwissenschaft hinausgehe, sagen Sie. Wer oder was ist denn dieser Stern, welche Bedeutung hat er?
Sie ist für mich einiges bedeutsamer. Biblische Geschichten sind ja nicht astronomische Lehren; die Bibel kein Geographiebuch. Auch heute ist ein «Star» etwas anderes und auch ein «Sternchen» mehr als etwas Glänzendes am Himmel. Die Bibel erzählt Geschichten von Menschen, die einen Glaubensweg gehen. Sie giessen diese Erfahrungen in Geschichten, die sich weitererzählen lassen. Darum lohnt es sich, nach der Bedeutung einer Geschichte zu fragen. Und dabei verbinden wir automatisch unsere Welt und Erfahrungen mit jenen der Menschen von damals.

Seit Jahrtausenden zeigen die Sterne den Menschen den Weg. | Foto: pexels
Schon früh haben sich Menschen an den Sternen orientiert. Das taten die Beduinen in der Wüste oder die Seefahrer auf dem Meer. Heute hat man GPS im Handy und braucht keine Sterne mehr. Wie kann man heute den Zauber des guten Sterns, der einem den Weg weist, noch wachhalten?
Man muss einfach das Natel zu Hause lassen! Oder warten, bis es keinen Strom mehr hat. Dazu reichen zwei Tage im Hochgebirge. Doch viel eindrücklicher ist es, in einer klaren Nacht in den Himmel zu blicken. Klar, manchmal muss man eine dunkle Ecke suchen, damit die Lichter des Alltags etwas ausgeblendet sind, aber dann: schauen! Nur schauen!

Welchen Leitstern oder auch Leitsterne haben Sie, nach denen Sie sich auf Ihrem Lebensweg richten?
Ich bin Theologe und Sozialethiker, aber auch Politiker im Nidwaldner Landrat. Bei dieser Arbeit orientiere ich mich stark an den Wegweisern, Prinzipien, der katholischen Soziallehre: der Mensch im Zentrum, Sorge für die Benachteiligten, Wohl aller Menschen im Blick, Sorge für die Umwelt und angemessene Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeiten. Persönlich ist für mich Bruder Klaus immer wieder ein Leitstern. Er hat seine Welterfahrung mit seinem Glauben verbinden können, auch dank seiner Verwurzlung in und der Verbindung mit seiner Familie.

Auch das können Leitsterne sein: die Stars auf dem walk of fame in Hollywood. | Foto: pexels
Sie sagen, die Stars von heute, berühmte Menschen, die für viele andere Vorbilder sind, können solche Leitsterne sein. Ist das nicht etwas hoch gegriffen, wenn man an so Leute wie Paris Hilton, die Kardashians oder irgendwelche Fussballer denkt, die Mühe haben, einen fehlerfreien Satz zu formulieren, aber als Stars gehandelt werden?
Natürlich bringt das viele zum Schmunzeln. Gleichwohl stehen diese «Stars» für das, was in unserer Welt schliesslich zählt: Reichtum, Schönheit, Geld und messbarer Erfolg. Es nützt nichts, darüber zu lästern. Vielmehr darf dies uns auch einladen zu fragen, wie wir selber mit diesen Zielen umgehen, wo wir uns denn unterscheiden und warum. Über «falsche» Stars zu lachen oder zu moralisieren ist ja keine Kunst, sich mit den eigenen «Stars» auseinanderzusetzen schon eher.

Für viele Menschen wirkt das Kreuz Christi mit seiner Symbolik als Leitstern. | Foto: pexels
Wenn es um die Einheit der Christen geht, welche Art von Stern bräuchte es, um diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen?
Der Star ist Jesus Christus. Es ist viel gewonnen, wenn wir uns gegenseitig zuhören und erzählen können, wo wir diesen Stern sehen, warum er für uns bedeutsam ist und wohin er uns lenkt. Wenn wir dann gemeinsam das eine oder andere machen können, sind wir in die richtige Richtung unterwegs.

Was kann ein Stern oder Star denn schon tun, um die Gräben zwischen den diversen Formen christlicher Glaubenslehren aufzuschütten?
Wie ich eben andeutete: Die Gräben entstehen, wenn wir nicht zuhören oder wenn wir statt Einheit Einheitlichkeit, also Uniformität wollen. Uniformität ist aber in aller Regel eine Machtfrage. Gerade Macht und Mächtige wurden von Jesus immer wieder kritisch hinterfragt. Auf der anderen Seite scheint Jesus gut im Zuhören gewesen zu sein, wenn ich an die Frau am Jakobsbrunnen denke, Zachäus und viele andere. Zuhören und ernst nehmen des Andersseins, das überwindet Gräben.

Was ist für Sie das Ziel dieses Abends?
Zum einen soll es eine Freude sein, mit anderen Menschen zusammen einer Frage etwas vertiefter nachgehen zu können. Zum anderen regen meine Gedanken vielleicht zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen Leitsternen an, sowohl im persönlichen Leben, als auch im Hinblick darauf, wie wir unsere Gesellschaft gestalten.

Was erwarten Sie von den Besuchern dieser Veranstaltung?
Dass sie gerne in den Himmel blicken, Sterne beobachten und über ihre Erlebnisse und Erfahrungen erzählen, damit wir bei Tageslicht den Weg weiter gehen können.

Sie sind Theologe und Sozialethiker. Neigen Sie, sozusagen aus beruflichen Gründen, dazu, mit dem Kopf in den Sternen zu wandeln?
Ein Stück weit sicher! Ethikerinnen fragen immer wieder nach den Leitsternen für unser persönliches wie gesellschaftliches Handeln. Theologinnen sind letztlich fasziniert von der Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen, beschäftigen sich mit dem unaussprechbar Göttlichen, das wie ein Leitstern in unserem Leben aufscheint.
Als Theologe wie Sozialethiker wünsche ich mir, dass ich nicht nur mit Herz und Kopf von den Sternen fasziniert bin, sondern auch mit den Händen und Füssen einen Beitrag zu einer Welt leisten kann, die für wirklich alle Menschen menschlicher wird.

Curriculum vitae Thomas Wallimann

Thomas Wallimann-Sasaki, Jhg.1965, ist in Alpnachdorf geboren und aufgewachsen. Sein Studienweg führte ihn nach Chur und Paris, dann nach Berkeley, Californien, und Luzern, wo er 1999 mit einer Arbeit über Schweizerische Drogenpolitik aus christlich-ethischer Perspektive promovierte. Eine Weiterbildung in Dienstleistungsmanagement eröffnete ihm ein Verständnis für Betriebswirtschaft und ökonomisches Denken.

Er leitet das Institut für Sozialethik «ethik22» in Zürich. In der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen in Politik, Wirtschaft und Kirche bietet «ethik22» Raum für Dialog über Werte und sozialethische Orientierung aus christlicher Perspektive.

Wallimann unterrichtet Ethik an der Hochschule Luzern in Horw und Rotkreuz, an der Berner Fachhochschule sowie an der KV Business School in Zürich. Zusammen mit seiner Frau, Christina Sasaki, ist er tätig in der Beratung und Begleitung von Kirchenräten und Pfarreien. Während zwölf Jahren war er Präsident der Kath. Kirchgemeinde Stansstad. 2014 wurde er in seiner Wohngemeinde Ennetmoos in den Nidwaldner Landrat (Kantonsrat) gewählt. Ehrenamtlich ist er seit 2013 Präsident a.i. der bischöflichen sozialethischen Kommission „Justitia et Pax“.

Ausgleich und Inspiration findet er beim Musizieren, Velofahren und Bergsteigen.

Kontakt
Dr. theol. Thomas Wallimann-Sasaki
ethik22 – Institut für Sozialethik
Ausstellungsstr. 21
8005 Zürich
044 271 00 32
thwallimann@ethik22.ch
www.ethik22.ch

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