26.01.2024

Sexueller Missbrauch in der Evangelischen Kirche in Deutschland – auch die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz denkt über Aufarbeitung nach

Von Eva Meienberg

9355 Kinder und Jugendliche sind in der Evangelischen Kirche Deutschlands von sexualisierter Gewalt betroffen gewesen seit 1946, berichtet die Nachrichtenagentur KNA. Zu diesem Resultat kamen die Forschenden der Studie «Forum – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland». In Auftrag gegeben hatte sie die EKD und ihre Landeskirchen vor gut drei Jahren. In sechs Teilstudien hat die Untersuchung die Ursachen und Besonderheiten von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht.

«Spitze der Spitze des Eisbergs»

Die Zahl der Betroffenen ist viel höher als bislang angenommen. Gemäss einer Hochrechnung seien 9355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Die Zahl der mutmasslichen Täter liege bei 3497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Nach Angaben der Wissenschaftler zeige die Untersuchung nur die «Spitze der Spitze des Eisbergs», berichtet die KNA.

Laut der Studie sind rund 64,7 Prozent der Opfer männlich und rund 35,3 weiblich. Bei dem Beschuldigten handelt es sich demnach fast ausschliesslich um Männer (99,6 Prozent). Rund drei Viertel von ihnen waren bei der Ersttat verheiratet. Weiter kommt die Studie zum Ergebnis, dass es bei der Schwere der Tat eine grosse Spannweite gebe: Bei den meisten Taten handelt es sich aber um sogenannte Hands-on-Handlungen, das heisst, es habe einen Körperkontakt mit den Opfern gegeben – von nicht notwendigen körperlichen Hilfestellungen im Sportunterricht bis hin zur Penetration.

Verantwortung und Entschuldigung

«Wir übernehmen als evangelische Kirche und Diakonie Verantwortung für die Gewalttaten, die von Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen unserer Institution begangen wurden,» sagte Bischöfin Kirsten Fehrs am 25. Januar bei der Übergabe der Forschungsresultate in Hannover. «Dazu gehört es als erstes, klar zu sagen: Wir sind auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig geworden. Und ich kann Sie, die Sie so verletzt wurden, nur von ganzem Herzen um Entschuldigung bitten.»

Laut der Medienmitteilung der EDK werden nun die Ergebnisse und konkreten Empfehlungen in Kirche und Diakonie intensiv auf allen Ebenen diskutiert. Die zentrale Rolle dabei spielt das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD. Darin werden kirchliche Beauftragte und Betroffenenvertreterinnen und -vertreter die Ergebnisse gemeinsam mit den Forschenden analysieren, die Diskussionen aus anderen Gremien und Ebenen zusammenführen und im November 2024 der Synode der EKD einen Massnahmenplan mit Konsequenzen aus der Aufarbeitungsstudie Forum vorlegen.

Missbrauchsstudie zur Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz?

Damit steigt auch der Druck auf die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS). Laut einem Bericht des reformierten Nachrichtenportals ref.ch schloss die EKS-Ratspräsidentin Rita Famos eine schweizweite Studie nicht mehr aus, nachdem sie im vergangenen Dezember in Hannover Einsicht in das Forschungsdesign der deutschen Studie erhalten hatte.