11.11.2016

Unterwegs in der multikulturellen Schweiz

Von Katharina Kilchenmann

Tillmann Luther, seit 2001 Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Visp (Wallis), ist aus Rheinland-Pfalz eingewandert. Aufgewachsen ist der 55-Jährige in Coburg (Oberfranken).

«Die Kirche ist ein Auslaufmodell. Sie sollte den sicheren Hafen immer wieder verlassen und auslaufen, um Neues zu entdecken. Dasselbe gilt auch für die Pfarrer, also für mich.

Das Wallis verfolgte mich

Ich war damals im Amt in der Südpfalz und wollte im Alter von 40 Jahren etwas veändern. Ein Kollege machte mich darauf aufmerksam, dass in Visp im Wallis ein Pfarrer gesucht würde. Ich musste erst mal nachsehen, wo der Ort mit dem seltsamen Namen war und kümmerte mich dann nicht mehr darum. Aber der Kanton verfolgte mich: Pötzlich sah ich in der Zeitung Werbung von Walliser Käse, im Fernsehen kam eine Dokumentation über die Rettungsflieger in Zermatt und ich entdeckte, dass sich auf der Toblerone das Matterhorn befindet.

Ich meldete ich mich in Visp und die Stelle war noch frei. Ich wurde gewählt und lebe nun seit fünfzehn Jahren mit meiner Frau und meinem Sohn im Wallis, meiner neuen Heimat.

Beruf als Integration

Als Pfarrer war es von Anfang an leicht für mich, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Nach einem Crashkurs in «Walliser Tiitsch» verstand ich sie sogar und dadurch, dass es sich um eine kleine Kantonalkirche handelt, wurde ich umgehend in Ämtern eingesetzt und damit ein vollwertiges Mitglied.

In den ersten Jahren war ich vielleicht etwas zu anpassungswillig und harmoniebedürftig. Ich wollte dazugehören und habe versucht, ein möglichst guter Schweizer sein. Aber ich musste ja auch lernen, wie das Leben hier funktioniert und jetzt im Rückblick hat es sich gelohnt: Ich bin akzeptiert, bin eingebürgert und möchte auch im Alter hierbleiben.

Kirche als Brücke zur Gesellschaft

Von Anfang hat mir die Kirche Heimat gegeben: Die Kasualien und Gottesdienste hier sind dieselben wie in der reformierten Kirche in Deutschland. Man singt die gleichen Lieder und hat dieselben Gebete. Das erleichtert das Ankommen in einem neuen Land. Genau so muss es für Flüchtlinge mit christlichem Hintergrund sein: Die Kirche bildet eine Brücke zur Gesellschaft. Als Pfarrer in Visp erlebe ich Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen. Sie kommen in den Gottesdienst oder besuchen Gebetskreise, weil sie auf der Suche nach Heimat sind und in der Kirche auf Bekanntes treffen. Auch wenn Touristen mitsingen und beten, dann verbinden sie sich mit dem Land und erleben sich als Teil davon.

Nicht selten entdecken Menschen in der Diaspora erst recht die Zugeörigkeit zu ihrer Glaubensgemeinschaft. Kürzlich erzählte mir ein deutsches Ehepaar – beide arbeiten und leben im Wallis – sie hätten sich dank der Kontakte in der Kirchgemeinde schnell integriert und nähmen nun regelmässig an den Veranstaltungen teil, was sie früher nicht gemacht hätten.

Für eine Reihe von Reformierten ist es nicht ganz leicht, zum Glauben zu stehen, aus Angst, als fundamentalistisch zu gelten. Das ist doch schade, denn der Glaube an Jesus Christus kann für einen Menschen tatsächlich Heimat sein. Eine Heimat, die er überall hin mitnimmt und mit anderen teilen kann, unabhängig von der Nationalität oder von Landesgrenzen.

Heimat: Der Duft von Sonne auf trockenem Holz

Für mich persönlich ist das Gefühl von Heimat auch an bestimmte Menschen, an Orte oder Gerüche gebunden. Wenn hier im Wallis beispielsweise die Sonne auf trockenes Holz scheint, entsteht ein ganz besonderer Duft. Den gibt’s nur hier und löst in mir ein warmes und wohliges Gefühl aus. So riecht für mich Heimat.»

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