19.01.2023

Die Aufbahrung von Toten entspricht alten christlichen Vorstellungen
«Verstorbene sollen nicht alleine sein»

Von Eva Meienberg

  • «Für Sterben und Tod gibt es ein gottesdienstliches Vorgehen», sagt die Liturgiewissenschaftlerin, Birgit Jeggle-Merz.
  • Die Aufbahrung des Leichnams gehört dazu.
  • Der Leichnam von Papst Benedikt war den Menschenmassen nicht ausgeliefert, sondern wurde von diesen beschützt.

Birgit Jeggle-Merz, mir kam der aufgebahrten Leichnam von Papst Benedikt im Petersdom schutzlos vor, den Massen ausgeliefert. Wie ging es Ihnen mit den Bildern?
Birgit Jeggle-Merz: Der Eindruck, dass der aufgebarte Leichnam ungeschützt ist, ist falsch. Die umstehenden Menschen schützen ihn. Sie begleiten ihren Bruder, Papst Benedikt, und ehren seinen Leichnam.

Was genau ist dieser Leichnam?
Der Leichnam ist nicht einfach ein toter Körper, sondern der Leib, in dem Christus gewohnt hat. Darum muss er ehrenvoll behandelt werden. Es war der Leib, der getauft wurde, der die Kommunion empfangen hatte. Der Leib ist nichts, was zum Menschen hinzukommt. Er macht den Menschen aus. Wir glauben im Christentum an eine leibhafte Auferstehung. Die ganze Leibfeindlichkeit in der Geschichte der Kirche, ist darum gegen die Schöpfung gerichtet.

Birgit Jeggle-Merz, Professorin für Liturgiewissenschaft | Foto: zvg

Welche Vorstellungen gehören ebenfalls zu Tod und Sterben im christlichen Verständnis?
Es gibt die sehr alte christliche Vorstellung, dass der Bruder oder die Schwester in Christo nicht alleine gelassen werden darf von seiner Familie, also von den Getauften. Das beginnt, wenn der Sterbeprozess in eine finale Phase geht. Es gibt das Ideal, dass Sterben und Begraben ein einheitlicher Gottesdienst ist. Während also der Bruder oder die Schwester stirbt, werden die Exodus-Psalmen oder die Passionstexte gelesen. Die Sterbenden gehen den Weg von Christus mit. Nach dem Tod wird auch das Waschen des Leichnams, das Einkleiden und das Einsargen gottesdienstlich vollzogen. So ist es auch beim emeritierten Papst geschehen.

Die Menschen im Petersdom haben den Leichnam fotografiert und die Bilder in den sozialen Medien geteilt. Ein Selfie mit dem Leichnam des Papstes? Ist das ehrenvoll?
Das ist unsere Zeit. Wir halten alles überall fest und teilen diese Bilder. Wir präsentieren uns mit diesen Bildern und sie geben uns eine Identität. Ich glaube aber, dass die meisten Menschen im Petersdom mit der Absicht dort waren, sich zu verabschieden und dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Was passierte in den drei Tagen während der Aufbahrung mit dem Leichnam von Papst Benedikt?
Wenn der Tod eintritt, machen viele Menschen die Erfahrung, dass die verstorbene Person noch präsent ist. Und dann scheint sie sich immer mehr zu entfernen. Die Gesichtszüge verändern sich. Irgendwann haben die Hinterbliebenen das Gefühl, dass die verstorbene Person wirklich nicht mehr da ist. Viele der Menschen, die im Petersdom vier Stunden angestanden sind, wollten sich vergewissern, dass der Papst, mit dem sie etwas verbunden hatte, nun wirklich nicht mehr da ist. Das ist auch für den Trauerprozess eine wichtige Station.

Birgit Jeggle-Merz

Birgit Jeggle Merz ist Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und an der theologischen Fakultät in Luzern. Zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit zählen u.a. die Wort-Gottes-Feier, die performative Dimension der Liturgie sowie der Themenkreis Liturgie und Lebenswelt. Sie ist Herausgeberin des Magazins «transformatio;». Von 2011-2019 war Birgit Jeggle-Merz Zentralpräsidentin des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks (SKB). Sie ist Mitglied der Liturgischen Kommission der Schweizer Bischofskonferenz (LKS).

Wie steht es mit der Aufbahrung der Verstorbenen in der Schweiz?
Das ist gebietsweise sehr unterschiedlich. Ich lebe im Kanton Graubünden. In der Surselva etwa werden die Verstorbenen oft direkt aus dem Kantonsspital ins Krematorium nach Chur gebracht. Das hat die Riten stark verändert. Früher hat man die Toten aufgebahrt und alle konnten sich verabschieden.

Wie sieht das ideale katholische Sterben, der ideale katholische Tod aus?
Das Ideal ist, dass die sterbende und die verstorbene Person nicht allein bleibt. Auch das gemeinsame Gebet ist wichtig. Es gibt ein sehr altes Gebet für diesen Moment: ‚Kommt herbei ihr Heiligen Gottes und nehmt die Seele des Verstorbenen und tragt sie zum Allerhöchsten empor‘.

Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es die sogenannten Aussegnungen. Da wurde der Priester für die Sterbesakramente gerufen. Er hat einen ganzen Katalog an Sterbegebeten gesprochen. Damals hat der Priester die Funktion gehabt, den Sterbeprozess zu begleiten. Heute sind die Angehörigen oft auf sich selbst verwiesen, ausser sie machen sich kundig oder sie lassen sich begleiten. Die Hospizbewegungen leisten da gute Arbeit. Es wollen ja auch nicht alle nach christlichen Vorstellungen begleitet werden.

Welche Rituale gehören eher der Vergangenheit an?
Aus dem Hochmittelalter kennen wir den sogenannten Versehgang. Damit ist der Gang eines Priesters zu einer sterbenden Person gemeint, um dieser das Bussakrament, die letzte Ölung und die Kommunion zu spenden. Mit der Ölung wurde die sterbende Person darauf vorbereitet, Gott gegenüberzutreten. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sprechen wir statt von der letzten Ölung von der Krankensalbung. Diese Trias von Ritualen ist für viele Menschen auch heute noch tröstlich.

Gibt es Rituale, die aus einer katholischen Auffassung heraus vollzogen werden müssen?
Nein, es gibt kein Ritual, das zwingend notwendig ist. Aber das Bedürfnis nach solchen Ritualen sowohl von Sterbenden als auch von den Angehörigen ist gross. Darum wurden in jüngster Zeit sogenannte Sterbesegen entwickelt.  Diese Segen dürfen alle Menschen sprechen. Dafür braucht es keine Ordination.

Es kann einem also nichts fehlen beim Sterben und im Tod, um in den Himmel zu kommen?
Es kann einem nichts fehlen. Die Taufe ist die Grundlage dafür, in den Himmel zu kommen. Aber wer Sterbende rituell begleitet, kann sie reich beschenken. Ihnen vielleicht die Angst nehmen und ihnen den Übergang erleichtern.

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