26.10.2023

Studie zu katholischen Gemeindeleiterinnen in der Deutschschweiz
Vertrauen, Goodwill und Freiräume

Von Sylvia Stam, Kantonales Pfarreiblatt Luzern

  • Nadja Waibel befragte für ihre Doktorarbeit 21 Frauen, die als Gemeindeleiterinnen tätig waren.
  • Die Studie der Uni Luzern beleuchtet erstmals Frauen in Leitungspositionen der katholischen Kirche Deutschschweiz.
  • Obwohl die Studie anonym durchgeführt wurde, hatten viele Frauen Angst, von sich zu erzählen.

Gemeindeleiterinnen gibt es erst seit rund 30 Jahren. Hat sich die Kirche damals geöffnet oder war das eher eine Folge des Priestermangels?
Nadja Waibel: Die befragten Frauen übernahmen meist vakante Pfarrstellen als Gemeindeleiterin ad interim. Wenn man an der Vorstellung festhält, dass es in jedem Dorf einen Pfarrer gibt, kann man von Mangel sprechen. Gleichzeitig studierten immer mehr Personen Theologie, ohne Priester zu werden. Es brauchte daher auch eine Öffnung hin zu neuen Kirchenbildern, in dem Menschen im Team Verantwortung übernehmen, und Kirchenvertreter, die sich bewusst für Frauen in Leitungspositionen entschieden.

«Als Frau kann man in der katholischen Kirche keine Karriere machen.»

Studienteilnehmerin

Also waren die Frauen eher Lückenbüsserinnen als solche, die eine Karriere anstrebten?
Eine Frau, die katholische Theologie studiert, weiss von Anfang an, dass ihre Möglichkeiten in dieser Kirche begrenzt sind. Eine Gemeindeleiterin sagte mir, als Frau könne man in der katholischen Kirche nicht Karriere machen, darum suchen sich Karrieristinnen andere Berufe oder Ausbildungswege. Viele meiner Interviewpartnerinnen wollten ab 50 mehr Verantwortung übernehmen. Sie wollten eine Pfarrei prägen und mitgestalten und bewarben sich darum auf eine Gemeindeleitung.

Das würde ich Karriere nennen.
Trotzdem waren sie in einer abhängigen Position. Wenn der Priester die Erstkommunion anders gestalten wollte, als die Gemeindeleiterin es mit der Katechetin besprochen hatte, mussten sie sich anpassen, weil der Priester das Vetorecht hatte. Auch blieb ein Priester als Pfarradministrator ihr Vorgesetzter.

Sie stellen fest, dass auffallend viele Gemeindeleiterinnen Quereinsteigerinnen sind. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Ein Typus von Frauen, den ich beschrieben habe, hatte oft erst über die Kinder wieder Kontakt zur Pfarrei und damit zu Pfarreiseelsorger:innen und erlebten dies als vielseitigen sozialen Beruf. Bei einem zweiten Typus stellten sich religiöse Fragen in Lebenskrisen oder aufgrund existenzieller Erfahrungen. Vielleicht braucht es eine gewisse Lebenserfahrung und ein gewisses Vertrauen, um in der Kirche eine Ausbildung zu starten.

Der Weg in die Kirche

Nadja Waibel hat für ihre Doktorarbeit an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern 21 Gemeindeleiterinnen in Pfarreien der Deutschschweiz befragt. Die Frauen waren zwischen 1990 und 2019 in dieser Funktion tätig.

Die Befragten verfügten über eine theologische Ausbildung zur Pastoralassistentin und Erfahrung in der Pfarreiseelsorge. Nach mehrjähriger Berufserfahrung, meist im Alter von rund 50 Jahren, wurden sie Gemeindeleiterinnen oder Pfarreibeauftragte. Letztere sind in der Studie im Begriff «Gemeindeleiterin» mit gemeint.

Waibel untersucht, wie die Frauen ihren Weg in der Kirche gefunden haben. Aus den Interviews erstellt sie vier Typen von biografischen Werdegängen.

Nadja Waibel: «Vertrauen mit den Frauen» | TVZ 2023 | ISBN 978-3-290-20239-2 | kostenloser download unter: tvz-verlag.ch

«Vertrauen mit den Frauen» heisst Ihr Buch. Welche Rolle spielte das Vertrauen in den Biografien?
Immer, wenn Entscheidungen anstanden, also meist in Krisen, fiel in den Gesprächen das Wort «Vertrauen». Manche studierten Theologie im Vertrauen, dass sich daraus etwas Gutes ergeben würde. Beim Berufseinstieg war das Vertrauen der vorgesetzten Priester entscheidend dafür, wie man sich in die neue Rolle als Seelsorgerin fand. In der Gemeindeleitung oder in der Seelsorge erlebten sie, wie ihnen Vertrauen von den Gemeindemitgliedern geschwenkt wurde. Vertrauen zeigte sich auch als tragende Kraft, als Fügung Gottes in ihrem Leben.

Was gefällt den Frauen am besten an ihrem Beruf?
Das Begleiten von Menschen in verschiedenen Lebenswendepunkten: Taufe, Erstkommunion, Firmung, Beerdigungen. Durch die Tauferlaubnis haben sie Kontakt mit jungen Familien und können diese auch mit der Pfarrei in Kontakt bringen. Wenn sie die Tauferlaubnis verlieren, wird das als schmerzhaft erlebt. Ausserdem lieben sie die Kreativität und Vielseitigkeit in der Gestaltung von Liturgie. Anders als Priester können sie nicht aus dem Messbuch lesen, darum gestalten sie oft jeden Gottesdienst neu und frei. Ebenso können sie im Pfarreileben eigene Schwerpunkte setzen.

Dennoch stellen Sie fest: «In der Liturgie zeigt sich die Ortlosigkeit der Pastoralassistentinnen und der Gemeindeleiterinnen».
Wenn sie zusammen mit dem Priester eine Eucharistiefeier gestalten, ist nie klar, was für Aufgaben sie übernehmen können. Das müssen sie immer wieder neu aushandeln. Etwa die Frage, wo sie stehen: Bei den Minstrant:innen? Bei den Liturgen? Das wird verschieden gehandhabt.

Welche Punkte muss man aushandeln? Was dürfen nicht geweihte Personen im Altarraum?
Für den regelmässigen Predigtdienst braucht es eine Missio mit der Beauftragung zum Predigen. Bei manchen Sakramenten gibt es Ausnahmeregelungen für die Taufspenden, ebenso für Trauungen, bei dem die Eheleute sich selber das Versprechen zusprechen.

Ist das heute nicht mehr möglich?
In den grösseren Einheiten, Pastoral- und Seelsorgeräume, ist man davon weggekommen. Dort erhalten oft nur noch Priester oder Diakone die Erlaubnis Taufen und Eheassistenzen vorzunehmen.

«Vertrauen wird immer dann zum Thema, wenn es fehlt.»

Nadja Waibel

Wie erlebten die Befragten die Zusammenarbeit mit den Priestern?
Wenn das Vertrauen vorhanden war, wurden die Aufgaben einfach aufgeteilt. Schwierig wurde es, wenn ein neuer Priester kam und die Gemeindeleiterin dadurch Kompetenzen verlor, die sie vorher hatte. Grundsätzlich sagten sich viele: «Der Priester, mit dem ich zusammenarbeite, kann auch nichts dafür, dass die Kirche Frauen diskriminiert. Es ist ein strukturelles Problem, kein persönliches.»

Viele empfanden ihre Position als unsicher. Weshalb?
Die meisten waren Gemeindeleiterin ad interim, weil ihre Stellen kirchenrechtlich betrachtet vakante Pfarrpositionen waren. Offiziell war der Pfarradministrator oder Dekan zuständig. Die Frauen waren somit ein Stück weit vom Goodwill dieser Männer, auch des Bischofs, abhängig. Unsicherheit stellte sich auch ein, wenn die Frau mit einem geschiedenen Mann eine Beziehung einging, weil sie durch ihre private Situation ihre Arbeitsstelle verlieren konnte.

 Wie gehen die Befragten mit der permanenten Diskriminierung von Frauen in der Kirche um?
Sie haben sich oft gesagt: «Ich kann es nicht ändern, ich muss meinen Weg finden, damit umzugehen, und die Freiräume nutzen.» Dies auch aus Selbstschutz, weil sie nicht an diesem aussichtslosen Kampf kaputtgehen wollten. Sie wollten die Kirche vor Ort gestalten, etwas von der Gemeinschaft, die sie ihrer Jugend erlebt hatten, weitergeben.

Was hat Sie bei Ihrer Arbeit überrascht?
Viele Frauen haben Angst zu reden, obschon die Studie anonym durchgeführt wurde. Einige wollten darum gar kein Interview geben. Es herrscht in der Kirche offenbar ein Milieu der Angst, sodass man nicht frei reden kann, ohne berufliche Konsequenzen zu fürchten.

Der Titel spricht demgegenüber von Vertrauen, das Gegenteil von Angst.
Vertrauen wird immer dann zum Thema, wenn es fehlt. Menschen wollen zwar das Vertrauen von anderen, aber es braucht Mut, selber Vertrauen zu schenken. Ob man den Frauen die Möglichkeit gibt, in der Kirche Einfluss zu nehmen, hängt oft vom Vertrauen von Amtsträgern ab.

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