14.02.2024

Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter blickt zurück
Vom Exorzismus zum Befreiungsdienst

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter war mehr als 30 Jahre lang im «Heilungs- und Befreiungsdienst» des Bistums Basel tätig.
  • «Existiert der Teufel?», «Wie wirkt er?» und «Wie können wir uns vor ihm schützen?». Mit diesen Fragen beschäftigt sich der 84-Jährige seit über 60 Jahren.
  • Als Gächter Ende 2023 sein Amt an zwei Nachfolger übergab, hielt er anlässlich eines Vortrags Rückschau auf «30 Jahre Befreiungsgebet und Exorzismus im Bistum Basel».

Wichtig sei, zwischen dem Teufel und den Dämonen zu unterscheiden, sagte Martin Gächter zu Beginn seines Vortrags: «Der Teufel plagt die Menschen weniger als die Dämonen, die eigentlich Plagegeister sind. Der Teufel ist vor allem ein Verführer, der uns mit gefälligen Worten belügt und verführen will. Dämonen sind Plagegeister, die mit dem Teufel in Verbindung stehen, die aber nicht die Macht des Teufels haben», erklärte er.

Der Gegner von Christus

In der Bibel kommt der Teufel im Alten und Neuen Testament öfters vor und trägt verschiedene Namen: Diabolus, Satan oder Luzifer. «Diabolus» ist Griechisch und bedeutet übersetzt «der Verdreher». «Satan» ist Hebräisch und bedeutet auf Deutsch «der Gegner oder der Widersacher». «Luzifer» ist Griechisch und heisst übersetzt «der Lichtträger». Jedoch strahlt dieser Lichtträger nur scheinbar hell, merkt Martin Gächter an. In Wirklichkeit ist er ein dunkles Wesen, der Gegner von Christus, der das wahre Licht ist. «Luzifer ist kein Lichtträger, sondern ein Wolf im Schafspelz.»

Der emeritierte Weihbischof Martin Gächter. | Foto: Jacqueline Straub / kath.ch

Martin Gächter präzisiert: «Der Teufel will uns vom Weg der Nachfolge Christi abbringen, ohne dass wir es merken. Daher ist der Teufel für uns alle gefährlich. Er rät uns etwas scheinbar Gutes, das in Wirklichkeit schlecht ist. Er macht Gutes schlecht und Schlechtes gut! Er versucht, uns zu verführen und durcheinander zu bringen.»

Den Teufel durch Wahrheit besiegen

Zur Veranschaulichung nannte Gächter in seinem Vortrag einige Beispiele: «Viele Verdrehungen muss man heute z.B. in täglichen Behauptungen feststellen oder im Krieg in der Ukraine, etwa wenn Präsident Putin die Lüge verbreitet, dass der Westen der Angreifer von Russland sei, gegen den er sich verteidigen müsse.» Er wolle den russischen Präsidenten nicht als Teufel hinstellen, sagt Gächter, «doch sein Denken und Reden enthalten Verdrehungen, die diabolisch sind. Wir müssen uns hüten, den Teufel in Mitmenschen zu sehen, doch das Verdrehte und Falsche in ihrem Reden und Tun müssen wir entlarven und aufzeigen.»

Gächters Fazit lautet: «Der Teufel ist weniger durch einen Exorzismus als durch die Wahrheit und durch Richtigstellen des Verdrehten zu besiegen. Zu diesem Kampf gegen den Teufel sind wir alle aufgerufen!»

Jährlich bis zu 50 Anfragen

Dämonen seien im Unterschied zum Teufel «unsichtbare Plagegeister, welche die Menschen körperlich und geistig quälen und ihnen viel Angst machen», erklärte der emeritierte Weihbischof in seinem Vortrag.

Die Unterscheidung zwischen Dämonen und psychischen Problemen ist sehr wichtig, aber nicht einfach. Hier liegt ein Grund für viel Kritik und Ablehnung von Befreiungsdienst und Exorzismus. Wer im Befreiungsdienst tätig sei, müsse deshalb neben einer theologischen und seelsorgerlichen Ausbildung auch viel Kenntnis in der Psychologie haben, betont Martin Gächter: «Man muss psychische Krankheiten erkennen können: Psychosen, Schizophrenie, Verfolgungswahn, Traumata. Diese müssen vor allem psychologisch behandelt werden.»

Geplagte Menschen ernst nehmen

Seit über 20 Jahren macht sich Martin Gächter Notizen zu den Anfragen, die ihn in seiner Funktion als Leiter des «Heilungs- und Befreiungsdienstes» erreichen. «Anfangs waren es jedes Jahr etwa 35 bis 50 Anfragen, in den letzten Jahren kamen jedes Jahr etwa 60 Anfragen am Telefon oder per Mail» zu ihm. Gächter nannte in seinem Vortrag einige Beschwerden, unter denen die Anruferinnen und Anrufer leiden. Ältere Leute klagten oft, dass sie plötzlich Schmerzen spürten, die sie noch nie hatten und die sie darum unsicher machen. Es meldeten sich auch Menschen, die nach früherem Drogenkonsum Albträume entwickeln oder sich im Schlaf von bösen Geistern verfolgt fühlen. Andere leiden unter Zwangshandlungen. Manche der Anrufenden äussern den Verdacht, dass ein Bekannter oder ein Verwandter sie verwünscht oder verflucht habe. «Da besteht aber die grosse Gefahr, dass unschuldige Mitmenschen ungerecht schwer verdächtigt werden», gibt Gächter zu bedenken.

Viele, die sich beim «Heilungs- und Befreiungsdienst» melden, sind unsicher, ob es sich bei ihrem Leiden um eine Besessenheit handeln könnte. Martin Gächter findet es sehr wichtig, alle geplagten Menschen ernst zu nehmen und sie nicht abzuweisen: «Bitten um einen Exorzismus lösen bei Seelsorgenden und überhaupt in der Kirche viel Unsicherheit und Fragen aus – oft auch Ablehnung. Doch geplagte Menschen müssen ernst genommen und gut begleitet werden.»

Oft habe er eine halbe Stunde mit den Leuten gesprochen und ihnen dann sagen können, dass bei ihnen keine Dämonen im Spiel seien, sondern dass sie an einer psychischen Schwäche oder Krankheit litten, sagte Gächter in seinem Vortrag. «Mit einem solchen Bescheid werden viele Menschen erleichtert. Sie sind beruhigt und dafür dankbar. Andere aber wollen unbedingt daran festhalten, dass sie nicht krank seien, sondern besessen». Zum Abschluss des Gesprächs habe er meisten – auch am Telefon – Befreiungsgebete gebetet.

Ein einziger Fall von echter Besessenheit

Echte Besessenheit erlebte der emeritierte Weihbischof Martin Gächter nur in einem einzigen Fall bei einer jungen Frau. Für sie betete er im Jahr 2006 zusammen mit zwei Bischofsvikaren fünfzehn Mal den Exorzismus – mit Erlaubnis des damaligen Bischofs Kurt Koch, weil ein grosser Exorzismus gemäss dem Kodex des Kanonischen Rechts die Erlaubnis des Ortsbischofs braucht. «Wie im Film» sei das gewesen, erinnerte sich Gächter vor zwei Jahren in einem Interview mit kath.ch: «Die Frau warf sich auf den Boden, sie habe getobt und uns beschimpft. Auch ihre Stimme war völlig anders, sehr tief, diabolisch und brüllend.»

Die drei Kirchenmänner beteten während den Sitzungen im bischöflichen Ordinariat das Vaterunser, das Ave Maria, freie Gebete und Gebete aus dem römischen Ritual «Exorzismen und Befreiungsgebete», das der Vatikan im Jahr 1999 herausgegeben hat. Zusätzlich segneten sie die Frau mit dem Kreuz und Weihwasser. Beim Kontakt mit dem Weihwasser habe sie laut geschrien: «Uh, das brennt.» Martin Gächter erinnerte sich im Interview mit kath.ch: «Es war, als ob Dämonen aus ihr herausschreien würden. Ich habe deshalb etwas ausprobiert: Wenn ich sie mit Weihwasser bespritzte, schrien sie: «Das brennt!». Dann habe ich normales Leitungswasser genommen – und es gab keine Reaktion. Da begriff ich, dass das Weihwasser mehr ist als eine Erinnerung an die Taufe: Es bewirkt etwas. Ich verstehe jetzt die Aussage, dass der Teufel das Weihwasser fürchte.»

Exorzismus auf dem Rückzug

Das Wissen über Exorzismus hat sich Martin Gächter grösstenteils selbst erarbeitet und angelesen. Er erklärte in seinem Vortrag: «Seit im Jahr 1969 der Schweizer Prof. Herbert Haag sein Buch «Abschied vom Teufel» veröffentlicht hat, wird im Theologiestudium das Thema Engel, gefallene Engel, Teufel und Dämonen, eher vernachlässigt.» Zwar hat die römische Glaubenskongregation der päpstlichen ­Kurie im Jahr 1999 ein neues Römisches Ritual «Exorzismen und Befreiungsgebete» veröffentlicht.  Darin wird stark betont, dass immer zuerst zwischen psychischen Krankheiten und einer möglichen Besessenheit unterscheiden werden muss.  Die römische Kurie zeige eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Exorzismus. Papst Paul VI. hatte schon 1973 die niedere Weihe zum Tauf-Exorzisten abgeschafft, die bis dahin jeder Priesteramtskandidat empfangen hatte. Papst Franziskus redet wieder unbefangen vom Teufel, jedoch weniger von Besessenheit und Exorzismus.

Der Churer Bischof Bonnemain besetzte die Exorzistenstelle nicht mehr neu

In der Schweiz gab es im Bistum Chur bis zum Jahr 2020 den bekannten offiziellen Exorzisten Bischofsvikar Christoph Casetti. Neben vielen anderen Aufgaben war Casetti ab 2014 ernannter Exorzist. Er hatte einen grossen Zulauf aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland. Casetti verstarb im Februar 2020. Joseph Bonnemain, seit 2021 Bischof von Chur, erklärte, dass er keinen Nachfolger für Casetti ernennen werde. Das Bistum Chur sei ein fragwürdiges «Exorzismus-Mekka» geworden. Als ehemaliger Arzt und langjähriger Spitalseelsorger ist Bischof Bonnemain der Meinung, dass bei vermuteter Besessenheit vor allem medizinische, psychologische und psychotherapeutische Behandlung hilfreich sei. Dazu ist auch die seelsorgerische Begleitung mit Gesprächen und Gebeten wichtig.

Heilungs- und Befreiungsdienst im Bistum Basel

Damit übereinstimmend erklärte Martin Gächter, dass die Diözesen weniger Exorzisten brauchten, sondern genügend Seelsorgende und für den Befreiungsdienst geeignete Laien. «Die meisten Menschen, die einen Exorzisten suchen, benötigen keinen (grossen)  Exorzismus, sondern ein Heilungs- und Befreiungsgebet, das sie bei ihren Plagen stärkt und von ihnen befreit.

Der «Heilungs- und Befreiungsdienst im Bistum Basel» ist laut Bistum «eine starke Gebetszusage, dass Christus der Sieger über alles Böse ist». Nach dem Rücktritt von Martin Gächter beauftragte Bischof Felix Gmür Pfarrer Urs Elsener und Diakon Dominik Meier-Ritz, die Anfragen im Zusammenhang mit dem «Heilungs- und Befreiungsdienst» zu behandeln, Seelsorgende und Gläubige zu beraten, sowie den Heilungs- und Befreiungsdienst auszuüben.

Im Bischöflichen Ordinariat in Solothurn trifft sich auch seit Jahrzehnten regelmässig ein Gesprächskreis von 20 bis 40 engagierten Priestern, Seelsorgenden, interessierten Laien, Ärzten und Psychiatern aus der deutschen Schweiz, um sich zweimal im Jahr über ihre Fragen und Erfahrungen im Befreiungsdienst auszutauschen.

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