29.04.2021

Pflanzen in der Bibel, im Volksglauben und in der Mystik
Von Rosen und Disteln

Von Pirmin Meier / Marie-Christine Andres

  • «Das sind gewaltige Themen, die Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nehmen», antwortete der Historiker Pirmin Meier auf die Anfrage von Horizonte, welche biblisch-symbolischen Bezüge es in der Pflanzenwelt gebe.
  • Trotzdem wagt er in diesem Artikel den Versuch, das bunt blühende und bisweilen wild wuchernde Thema zu umreissen.
  • Eine Tour d’Horizon über die Symbol- und Heilkraft von Blumen und Kräutern – biblisch-religiös, mystisch und volksfromm.

«Mit Rosenknospen wollen wir uns bekränzen», rühmt das Buch der Weisheit (2,8), wobei die Bibel aber sowohl im Alten wie im Neuen Testament die Dornen nie vergisst, einschliesslich natürlich der Dornenkrone Jesu (M 15,17 und Jo 19,5). Überhaupt besteht bei Erträgen der Felder stets die Gefahr, dass sie «unter die Dornen fallen», womit der Dorn negativ konnotiert bleibt, im Gegensatz zur vielgerühmten Lilie, die weder sät noch erntet, vgl. auch das Hohelied 2,2: «Wie eine Lilie unter den Dornen ist meine Freundin.» 

Kornblume

Foto: Claudia Berchtold

Die Kornblume war im Mittelalter als Marienblume bedeutsam

Weissdorn als Wallfahrtsziel

Insgesamt vierzehnmal sind im Alten und Neuen Testament «Dornen und Disteln» genannt, stets mit negativer Bedeutung. Dies ändert aber nichts daran, dass in der mystischen Tradition, auch in Liedern, der «Dornstrauch» gerade auch wegen der Dornenkrone, an die Erlösung gemahnt.

In diese Tradition reiht sich das freiburgische Dornheiligtum Berlens in der Nähe von Romont ein. Die dortige Kirche Notre-Dame de l’Épine stammt aus der Zeit zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert und ist seit etwa 400 Jahren ein Wallfahrtsort, zu dem ein sehr alter Weissdornstrauch gehört. Der Name der Kirche beruht auf der Überlieferung, wonach Maria in diesem Dornenstrauch erschienen sei. Der Weissdorn ist eine bedeutende christlich-mystische Kultpflanze.

Erfahrungswissen

Die Klöster hatten massgeblichen Einfluss auf den Anbau von Pflanzen, deren Verbreitung und deren Verwendung für Ernährung, Medizin und Brauchtum. Kein Kloster, das nicht nicht einen reich bestückten Kräutergarten pflegte. Jahrhunderte hindurch experimentierten Mönche und Nonnen mit Heilkräutern und sammelten so Erfahrungswissen über deren Wirkung. Zwischen verschiedenen Klöstern herrschte ein Austausch an Büchern, Präparaten und Samen. Bekanntes Beispiel für den so erworbenen Wissensschatz ist das Werk der Benediktinerin Hildegard von Bingen, die im 11. Jahrhundert lebte.

Pfingstrose

Foto: Claudia Berchtold

Die Pfingstrose wird seit der Antike als Heilmittel verwendet. Bei Hippokrates wie auch 1400 Jahre später bei Hildegard von Bingen galt sie als Mittel gegen Verdauungsstörungen. Paracelsus betrachtete sie als Heilmittel gegen Epilepsie.

Mikro- und Makrokosmos

Theophrast von Hohenheim, der Magier vom Etzel, geboren wohl 1493 in Egg nahe Einsiedeln, wurde unter dem Namen Paracelsus der berühmteste europäische Arzt, Alchemist und Naturphilosoph. Er wandte zum Auffinden von Heilmitteln die Signaturenlehre an, die auf der Entsprechung zwischen Mikro- und Makrokosmos beruhte und seit dem Altertum bekannt war. Paracelsus hielt diese Lehre erstmals schriftlich fest.

Die Signaturenlehre ordnet Mittel aufgrund von Analogien in Form, Farbe, Geruch, Geschmack oder Entstehungszeit bestimmten Organen oder Krankheitssymptomen zu. So wurde der Bohne aufgrund ihrer Form eine Heilwirkung bei Nierenleiden zugeschrieben und der Walnuss eine positive Wirkung auf das Gehirn. Der gelbe Saft des Schöllkrauts sollte gegen Gelbsucht wirken.

Engeldistel

Die in der Bibel vielfach genannte Distel ist eine Paracelsische Heilpflanze, auch mit magischer Verwendung, die als Engeldistel helfen soll, Kraft von starken Menschen auf Kranke und Schwache zu übertragen. Als biblisch gilt auch die an Fronleichnam ausgestreute Kornblume und als ebenfalls bei Paracelsus belegte Heilpflanze der Koriander.

Vom christlichen Kalender geprägt

Aber nicht die Bibel, sondern vor allem der christliche Kalender prägte die Spiritualität der Blumen, Sträucher, Bäume. Als bedeutendste volksfromme Heilpflanze ist das um den Johannistag am 24. Juni blühende Johanniskraut oder Hartheu zu nennen, das nach Paracelsus als besonders vielseitig wirksame Heilpflanze in sich selber von Weisheit über die Natur erfüllt ist. Dass die gelbe Blüte beim Zerreiben rot wird, erinnert an die blutige Passion Jesu und mahnt auch, dass Johannissalbe trefflich für Mundbehandlung sei. Überdies stellte man mit gedörrtem Johanniskraut Heilkissen her, welche als Hilfe beim Schlafen antidepressiv wirken sollten.

Wenn im Hochsommer die Kräuter reif sind, feiert die katholischen Kirche das Hochfest Mariä Himmelfahrt. Seit dem 10. Jahrhundert ist das Fest mit der Segnung von Kräutern und Blumen verbunden. Im Kräuterstrauss finden sich zum Beispiel Wermut, Salbei, Rosmarin, Arnika, Minze oder Kamille. Die Sträusse halfen, allerlei Unheil abzuwehren. Bei aufziehenden Gewittern etwa verbrannte man einige Zweige im Ofen, um Haus und Hof vor Blitzschlag zu schützen.

Ebenfalls psychophysische Wirkung wurde dem im Winter um die Weihnachtstage blühenden «Helleborus» nachgesagt, schon beim Griechen Hippokrates. Die Heilpflanze wurde als «Christrose» spiritualisiert und gehört ebenso wie der Barbarazweig vom Kirschbaum in die Weihnachtszeit.

Einbeere

Foto: Marie-Christine Andres

Die fünfblättrige Einbeere galt als Mittel gegen die Pest.

Rose ohne Dornen

Der deutsche Name der Pfingstrose verweist auf ihre Blütezeit und die rosenähnliche Blütenform. Doch ihr botanischer name «Paeonia» soll auf den griechischen Gott der Heilkunst, Paeon, zurückgehen.

Die Pflanze wird seit der Antike medizinisch genutzt. Sowohl bei Hippokrates als auch bei Hildegard von Bingen half die Pfingstrose bei Verdauungsstörungen. Paracelsus bezeichnete sie als Mittel gegen Epilepsie. Als «Rose ohne Dornen» war sie Attribut Marias.

Blutschweiss Jesu

Ab der Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge wurde der mitgebrachte und danach unter anderem im Burgund angepflanzte Granatapfel Kult, zum Beispiel beim heiligen Bernhard von Clairvaux. Er setzte den Granatapfelsaft, nebst den Kernen eine beliebte Fastenspeise, mit dem Blutschweiss Jesu gleich. 

Visionen im Wacholder

Populär aus dem Reich der Sträucher wurde überdies das «Siebnerlei» der zu segnenden und gesegneten Kräuter, die das Böse abwehren halfen: Stechpalme, Lärche, Eibe, Buchs, Föhre, Hasel und zumal der Wacholder, zu dessen Gesträuch, etwa im solothurnischen Meltingen und im luzernischen Ettiswil, zahlreiche mystische Visionen überliefert sind.

Über dies alles hinaus bleibt die Rose eine biblisch-mystische Pflanze und Heilpflanze, die das Herz stärkt. In der lauretanischen Litanei wird die Gottesmutter «Rosa mystica» genannt, was bei mir schon als Knabe beseligendes Erstaunen auslöste.

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