06.06.2022

Ukrainische Christen werden von nur drei Priestern in sechs Schweizer Gemeinden betreut
«Was, du willst noch bis September bleiben...?!»

Von Christian Breitschmid

  • Seit Beginn des Ukrainekrieges sind mehr als 50’000 Menschen aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet.
  • Die meisten von ihnen sind Christen, die auch oder gerade an ihrem Zufluchtsort den Trost und das Vertraute ihres Glaubens suchen.
  • Die drei einzigen, ukrainischen griechisch-katholischen Priester in der Schweiz haben alle Hände voll zu tun.

Pater Nazar Zatorskyy ist unterwegs. Viel unterwegs. Eigentlich nur unterwegs. Er ist der bischöfliche Delegierte für die Ukrainer in der Schweiz und Administrator der Gemeinden in Basel und Zürich. Ausserdem amtet der promovierte Theologe auch noch als mitarbeitender Priester in der Seelsorgeeinheit St. Urban (Murten und Gurmels). Zusammen mit seinen zwei Priesterkollegen, P. Volodymyr Horoshko und P. Sviatoslav Horetskyi, betreut er alle ukrainischen griechisch-katholischen Christen, die sich in der Schweiz aufhalten. «Vor dem Krieg waren das zwischen 10’000 und 15’000 Ukrainer, die wir in den sechs Gemeinden Lausanne, Genf, Zürich, Basel, Bern und Lugano betreuten», erklärt Pater Nazar. Diese Zahl habe sich aber seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine mehr als vervierfacht.

Kein Wunder also, dass die drei ukrainischen Priester fast pausenlos auf Achse sind. «Wir feiern Eucharistie mit den Gläubigen, hören die Beichte und sind als Seelsorger für die Menschen da, mit all ihren Sorgen, Ängsten und Nöten», sagt Pater Nazar. Dass dieser Seelsorgeauftrag für 50’000 Menschen, verteilt auf nur drei Paar Schultern einer Herkulesaufgabe gleichkommt, steht ausser Zweifel. Neben seinen priesterlichen kommen bei Nazar Zatorskyy noch Leitungsaufgaben hinzu, denn er ist als bischöflicher Delegierter auch verantwortlich für die finanziellen und personellen Belange seiner Mission. «Für mich bedeutet die aktuelle Situation Dauerstress und permanente Anspannung», sagt der 43-Jährige, «aber mir hilft das Gebet, und wenn ich einsehen muss, dass ich es einfach nicht schaffe überall gleichzeitig zu sein, dann habe ich das Vertrauen, dass der Herr hilft, wo ich nicht sein kann.»

Mehrere tausend Gläubige

Gemäss Verteilschlüssel des Staatssekretariats für Migration (SEM) ist der Kanton Aargau verpflichtet, gut acht Prozent der aus der Ukraine geflüchteten Menschen aufzunehmen. Laut Kantonsstatistik vom 19. Mai sind unserem Kanton per data rund 4200 Personen zugewiesen, und man rechnet damit, dass täglich 80 bis 100 neue Zuweisungen erfolgen. Zwei Drittel der Ukrainer bezeichneten sich in einer offiziellen Erhebung von 2010 als konfessionslos. Von denen, die sich zu einer Glaubensrichtung bekennen, gehören 71 Prozent zu einer der drei orthodoxen Kirchen (ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats, ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, ukrainische autokephale orthodoxe Kirche). 15 Prozent bekannten sich in der Erhebung zur ukrainischen griechisch-katholischen und zwei Prozent zur römisch-katholischen Kirche ihres Landes.

Die statistischen Zahlen lassen den Rückschluss zu, dass nicht alle 50’000 in die Schweiz geflüchteten Ukrainer die Seelsorge von Pater Nazar und seinen beiden Mitbrüdern in Anspruch nehmen. Aber dennoch sind es, die vorher schon in der Schweiz ansässigen Ukrainer mit einberechnet, gut und gerne 3300 griechisch-katholische Gläubige, die von drei Priestern an sechs Standorten in der Schweiz seelsorgerisch betreut werden. Ihre Gottesdienstordnung folgt dem byzantinischen Ritus, also demjenigen, dem auch die Anhänger der drei grossen orthodoxen Kirchen in der Ukraine folgen. Somit dürfte sich die hochgerechnete Zahl der zu betreuenden Gläubigen in den ukrainischen Gemeinden gleich wieder auf 15’300 erhöhen lassen.

Dankbar für Schweizer Solidarität

Fakt ist, dass hinter jeder einzelnen Zahl ein Mensch steht. Ein Mensch mit seinen Sorgen, Ängsten, Hoffnungen und Bedürfnissen. «Was die Flüchtlinge in der Schweiz am meisten beschäftigt, ist natürlich der Verlauf des Krieges in der Ukraine», sagt Pater Nazar. «Gleich an zweiter Stelle kommt aber immer die Frage, wann sie wieder nach Hause zurückkehren können. Das ist für die meisten von ihnen ihr sehnlichster Wunsch.» Als er vor kurzem einer Gottesdienstbesucherin von einem Projekt erzählt habe, das im September in St. Gallen stattfinden soll, fragte deren Töchterchen mit grossen Augen: «Was, du willst hier noch bis September bleiben…?!»

Nazar Zatorskyy macht sich und seinen Gemeindemitgliedern nichts vor. Er rechnet für die Geflüchteten aus seiner Heimat mit mindestens einem Jahr und ergänzt: «Dass der Schutzstatus S, den die Menschen aus der Ukraine in der Schweiz erhalten, jährlich verlängert werden kann, zeigt, wie realistisch die Schweizer Regierung die Lange einschätzt.» Überhaupt windet der junge Priester der Schweiz und ihren Kirchgemeinden ein Kränzchen: «Wir haben ja keine eigenen Räumlichkeiten für unsere Gottesdienste und die weiteren seelsorgerischen Angebote, aber wir dürfen in den katholischen Kirchen an unseren sechs Standorten die Messe feiern und auch die Pfarreiräume vor Ort werden uns für die Sonntagsschule oder für Zusammenkünfte nach der Messe unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Das ist ein grosses Zeichen der Verbundenheit und der Solidarität, die wir sehr zu schätzen wissen.»

Jeden Sonntag ein Stück Zuhause

Gerne würde Pater Nazar auch in anderen Städten, respektive Agglomerationen der Schweiz den ukrainischen Katholiken die Bildung eigener Gemeinden ermöglichen, aber dazu bräuchte er mehr Priester. «Diese Priester müssen sehr zuverlässig sein», sagt der bischöfliche Delegierte, «und natürlich müssen sie die Erlaubnis haben, in der Schweiz arbeiten zu dürfen.» Erste Gespräche mit den diversen Kantonalkirchen sind bereits im Gange. Vorerst könnte sich Pater Nazar weitere Gemeinden in St. Gallen, Chur, Olten und Sitten vorstellen. «Eventuell auch noch an anderen Orten…»

Die ukrainischen Griechisch-Katholiken aus dem Kanton Aargau müssen also noch etwas warten, bis sie ein eigenes Seelsorgeangebot quasi vor der Haustüre erhalten. Aber bis dahin sind sie jederzeit in den Gemeinden von Zürich und Basel willkommen, wo jeweils am 1. und 3. Sonntag des Monats, um 14 Uhr, in der Krypta der Liebfrauenkirche Zürich und am 2. und 4. Sonntag des Monats, um 15 Uhr, in der Kirche St. Marien Basel die Liturgie gefeiert wird. «So können alle Gläubigen jeden Sonntag den Gottesdienst feiern, die Kommunion erhalten und, wenn sie möchten, auch zur Beichte gehen», betont Pater Nazar. «Die Beichte ist ein vielgenutztes Angebot, denn in diesem geschützten Rahmen können die Gläubigen ihr Herz ausschütten. Zudem treffen sich die Leute nach der Kirche immer zum Tee. Dieser Austausch ist sehr wichtig, um Kontakte zu pflegen und neue Freundschaften zu knüpfen. Auf diese Weise fängt die Gemeinde viele Leute auf. Für die Kinder ist es schön, weil sie dann in ihrer Muttersprache sprechen und miteinander spielen können.»

Nach einer Liturgie kam eine Ukrainerin zu Pater Nazar und dankte ihm für seine Dienste: «Sie hatte Tränen in den Augen und sagte, sie hätte solches Heimweh, aber durch die Möglichkeit, fern der Heimat den ukrainischen Gottesdienst besuchen zu können, fühle sie sich in diesen Momenten wie zu Hause.» Alle Informationen zur ukrainischen griechisch-katholischen Kirche in der Schweiz finden sich auf der Website der Gemeinschaft.

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