25.01.2024

Der Schweizer Dokumentarfilm «Die Anhörung» wirft viele Fragen zum Asylprozess auf.
Wer fragt, bestimmt

Von Eva Meienberg

  • Der Dokumentarfilm «Die Anhörung» von Lisa Gerig fokussiert auf das Kernstück des Asylprozesses: die Anhörung.
  • Die genaue Analyse der Anhörungssituation offenbart Schwierigkeiten und wirft ein kritisches Licht auf den existentiellsten Moment des Asylprozesses.
  • Der Film hat den Festivalhauptpreis – den «Prix de Soleure» – an den Solothurner Filmtagen gewonnen.

«Taschentücher braucht es auch, hier wird viel geweint», sagt Victoria Innocent. Wie die anderen Protagonisten hat sie ihre Anhörung hinter sich und die nötige Distanz, sich der Inszenierung für den Film noch einmal auszusetzen. Gemeinsam mit ihren Schicksalsgenossen, den SEM-Mitarbeitenden und der Filmcrew richtet sie das Filmset her. Es soll so aussehen, wie das Büro, in dem Pascal Onana, Victoria Innocent, Jafar Sael und Living Smile Vidja vor nicht langer Zeit ihre Anhörungen hatten.

Rollenverteilung

Die Kulisse steht. Die Rollen sind klar verteilt: Die SEM-Mitarbeitenden stellen die Fragen, dürfen unterbrechen und nachhaken, um herauszufinden, ob die Lebensgeschichten asylrelevante Kriterien aufweisen und glaubwürdig sind. Die Asylsuchenden beantworten die Fragen wahrheitsgetreu, geben intimste Details ihres Lebens preis in Unkenntnis, ob diese überhaupt asylrelevant sind. Aufgrund des Anhörungsprotokolls wird später der Asylentscheid gefällt.

Jafar Said hat für «Die Anhörung» seine Fluchtgeschichte noch einmal erzählt. | Foto: outside-thebox.ch

Eine Frage der Macht

Lisa Gerigs Dokumentarfilm nimmt die Anhörung als Kernstück des Asylprozesses in den Fokus. Indem sie im zweiten Teil des Filmes die Asylsuchenden die SEM-Mitarbeitenden über ihre Motivation für ihre Arbeit befragen lässt, offenbart sich, wie sich die Machtverhältnisse schlagartig ändern, je nachdem, wer die Fragen stellt. «Die Anhörung» ist ein geniales Experiment, das aufzeigt, wie schwierig es ist, faire Bedingungen in den Befragungen der Asylsuchenden zu schaffen. Die zum Teil schwer traumatisierten Menschen müssen ihre Geschichten in einem für sie existenziellen Moment so erzählen können, dass ihre Fluchtgründe plausibel sind. Die Anhörung ist die Basis für den Entscheid, ob sie die Chance bekommen in der Schweiz ein neues Leben zu beginnen. Sachlich und ohne zu moralisieren analysiert die Filmemacherin den Angelpunkt des Asylverfahrens und wirft damit eine Menge wichtiger Fragen auf.

«Die Anhörung», Schweiz 2023, Regie: Lisa Gerig, Besetzung: Pascal Onana, Victoria Innocent, Jafar Sael und Living Smile Vidja; Verleih: Xenix Filmdistribution

Kinostart: 25. Januar 2023

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