04.01.2024

Beat Niederberger war 14 Jahre lang Präsident von Caritas Aargau
Wie Kanu fahren auf dem Wildwasser

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Die Caritas Aargau hat eine neue Präsidentin. Elisabeth Burgener hat das Präsidium von Beat Niederberger übernommen.
  • Der Gemeindeleiter der katholischen Pfarrei Schöftland hat das Amt 14 Jahre lang ausgeübt. In dieser Zeit ist Caritas Aargau enorm gewachsen.
  • Im Interview spricht der abtretende Präsident über seine Amtszeit, die alles andere als gemächlich verlief.

Beat Niederberger, Sie waren 14 Jahre lang Präsident von Caritas Aargau. Wie hat sich Caritas Aargau während Ihrer Amtszeit entwickelt?
Beat Niederberger: Caritas Aargau ist in den letzten Jahren gewaltig gewachsen. Das zeigen die Zahlen: der Umsatz ist von 3 auf 9 Millionen Franken gestiegen. Die Anzahl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist auf 100 gestiegen, Caritas Aargau umfasst aktuell 60 Vollzeitstellen.

Welches sind die Gründe für dieses Wachstum?
Der Hauptgrund ist die steigende Zahl der Geflüchteten. Caritas Aargau übernimmt die Flüchtlingsbetreuung für mehrere politische Gemeinden, da hat die Arbeit enorm zugenommen. Der zweite Grund ist der Aufbau der Kirchlich-Regionalen Sozialdienste KRSD an einzelnen Standorten, der in Zusammenarbeit mit der Landeskirche erfolgt ist. Die KRSD hat Caritas Aargau von Grund auf aufgebaut. Die Sozialarbeitenden der Anderssprachigen-Missionen wurden in die KRSD integriert und bieten dort Beratung auf Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Kroatisch und Albanisch an.
Der nächste Wachstumsschub kam im Frühling 2022 mit Beginn des Ukrainekriegs. Zehn Mitarbeitende sind mit der Betreuung der Schutzsuchenden aus der Ukraine beschäftigt.

Wechsel in Vorstand und Präsidium

Die Mitgliederversammlung hat am 23. November 2023 Elisabeth Burgener zur neuen Präsidentin des Vereins Caritas Aargau gewählt. Elisabeth Burgener tritt per 1. Dezember 2023 die Nachfolge von Beat Niederberger an, der Caritas Aargau 14 Jahre lang vorstand. Zudem hat die Mitgliederversammlung mit Dorothee Fischer ein neues Vorstandsmitglied und Anita Berger als Vize-Präsidentin gewählt. Die übrigen Vorstandsmitglieder Stefan Hertrampf, Maria Pia Scholl, Lydia Spuler und Alexandra Winkler wurden in ihrem Amt bestätigt.
Der abtretende Präsident Beat Niederberger wurde herzlich verabschiedet und geehrt.

Welche Konsequenzen hatte dieses Wachstum?
Das grosse Wachstum hat vieles verändert. Zum Beispiel in der Betriebsatmosphäre, wo vor ein paar Jahren noch jeder jeden persönlich kannte. Das finanzielle Wachstum war immer auch ein Wagnis: Wir müssen auch auf sinkende Fallzahlen vorbereitet sein und reagieren können. Das bedeutet, dass wir manchmal auch Mitarbeitende entlassen müssen.

Sowohl steigende als auch sinkende Fallzahlen stellen also die Caritas vor Herausforderungen.
Ja. Es ist eine stete Herausforderung, sowohl auf die aktuellen Gegebenheiten einzugehen, als auch eine solide Arbeitgeberin zu sein. Die Flexibilität der Mitarbeitenden hat es immer wieder gebraucht. Sie waren zum Teil auch Belastungen ausgesetzt in diesem Wachstumsprozess.

Hat sich durch das grosse Wachstum auch die Aussenwahrnehmung der Caritas Aargau verändert?
Durch ihr Wachstum ist Caritas Aargau zu einem der wichtigsten Ansprechpartner für den Kanton geworden. Caritas Aargau ist ein wichtiger Player im Sozialbereich. Das politische Klima im Aargau ist für unsere Arbeit jedoch nicht immer einfach. Einerseits ist es Aufgabe der Caritas, für benachteiligte Menschen einzustehen, andererseits ist uns auch die gute Zusammenarbeit mit dem Kanton und den Gemeinden wichtig.
Caritas Aargau bezahlt anständige Löhne und hat zeitgemässe Arbeitsbedingungen. Es war mir als Präsident immer wichtig, die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden wahrzunehmen. Wichtig ist auch, dass die Caritas qualitativ gute Arbeit leistet. Wir waren nicht immer der günstigste Anbieter und weil wir uns in einem kleinen Markt bewegen und es auch private Anbieter gibt, haben wir manchmal auch Aufträge nicht bekommen. Doch ich finde es wichtig, dass die Qualität stimmt.

Welches der vielen Angebote von Caritas Aargau liegt Ihnen besonders am Herzen?
Die Betreuung von Schutzsuchenden aus der Ukraine und ihrer Gastfamilien. Die Mitarbeitenden von Caritas haben bis im letzten Oktober im Auftrag des Kantons 355 Gastgeber mit 976 Schutzsuchenden beraten. Auch Bildungsprojekte wie Sprachkurse oder Wohnstart liegen mir sehr am Herzen, weil sie nachhaltige Wirkung zeigen und Menschen direkt und persönlich unterstützen.
Im strukturellen Bereich möchte ich den Aufbau der Kirchlich-Regionalen Sozialdienste KRSD in Zusammenarbeit mit der Landeskirche hervorheben. Was da in den vergangenen Jahren entstanden ist, hat Modellcharakter für andere Kantone. Das Gute an den KRSD ist ihre lokale Verankerung, so sind die Kirchgemeinden in die Pflicht genommen und tragen Verantwortung.

Wie hoch war Ihr Pensum als Caritas-Präsident?
Dank der professionellen Geschäftsleitung konnte ich mich aus dem operativen Geschäft raushalten und mich strategischen Fragen widmen. In Prozent umgerechnet, machte das Präsidium etwa eine 10-Prozent-Stelle aus. Die Arbeit war aber sehr ungleichmässig verteilt, es gab hohe Wellen und manchmal wieder Flaute. Caritas Aargau bewegte sich in den 14 Jahren meiner Amtszeit keineswegs in ruhigen Gewässern. Als Präsident fühlte ich mich häufig, als würde ich auf einem Wildbach Kanu fahren.

Was motivierte Sie, das Caritas-Kanu so viele Jahre auf Kurs zu halten?
Grundsätzlich war die Arbeit für mich eine sehr sinnvolle. Es war für mich sinnstiftend, im Hintergrund die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit im Vordergrund ganz konkret belasteten Menschen geholfen werden kann. Ich war gerne Caritas-Präsident und würde es wieder machen.

Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin, Elisabeth Burgener?
Elisabeth Burgener kennt als langjährige SP-Grossrätin den Aargau, die Caritas und die politischen Rahmenbedingungen. So wünsche ich ihr, dass sie auf dem Wildbach gut Kanu fahren kann. Ich wünsche ihr als Caritas-Präsidentin eine gewisse Gelassenheit, eine gute strategische Flughöhe und den Mut, Entscheidungen zu treffen. Wir müssen uns immer vor Augen halten, was unsere Aufgabe ist: Das Ziel ist nicht, die Caritas retten, sondern den benachteiligten Menschen Unterstützung und Begleitung zukommen lassen.

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