15.01.2024

Das Bistumsarchiv in Solothurn
Wo Bischöfe zu Akten werden

Von Dominik Thali / Pfarreiblatt Luzern

  • Es gibt hier weder Hinweise auf vernichtete Akten noch verschlossene Schränke: Das Archiv des Bistums Basel erhält in der Missbrauchsstudie gute Noten.
  • Doch der Computer macht das Archivieren immer anspruchsvoller.
  • Ein Besuch im Bistumsarchiv in Solothurn.

Als die Universität Zürich am 12. September die Pilotstudie zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Umfeld veröffentlichte, richtete sich der Blick auch auf die kirchlichen Archive. Die bis heute gültigen Bestimmungen zur Aktenvernichtung behinderten nicht nur die Forschung, heisst es in der Studie, sondern könnten auch «dramatische Auswirkungen auf die Betroffenen» haben, die ihre Akten nicht mehr oder nur unvollständig einsehen könnten.

Keine Dossiers vernichtet

Tatsächlich hält Canon 489 des Kirchenrechts fest: «Jährlich sind die Akten der Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren, deren Angeklagte verstorben sind oder die seit einem Jahrzehnt durch Verurteilung abgeschlossen sind, zu vernichten; ein kurzer Tatbestandsbericht mit dem Wortlaut des Endurteils ist aufzubewahren.» Das Kirchenrecht verlangt auch ein Geheimarchiv, in dem die geheimzuhaltenden Dokumente «mit grösster Sorgfalt» aufzubewahren sein. Rolf Fäs bedauert, dass es diese Bestimmungen noch gibt. Er, seit 2001 Archivar des Bistums Basel in Solothurn, versichert, noch kein Dossier vernichtet zu haben. Das sei auch unter seinen Vorgängern nicht geschehen.

Dr. Alexandra Mütel, Fachmitarbeiterin Archiv. | Foto: José Martinez

Zudem hat der Begriff Geheimarchiv für Fäs nichts mit Verbergen oder Vertuschen zu tun. Er legt ihn so aus, dass es der Kirche beim Erlass dieser Bestimmung vorab um Persönlichkeitsrechte ging. «Heikle Unterlagen mussten schon immer vor unbefugtem Zugriff geschützt werden.» Ob dies damals die Absicht war, ist heute einerlei. Fäs erinnert sich an einen einzigen Schrank, der bei seinem Stellenantritt als Geheimarchiv bezeichnet worden sei. Diesen gibt es längst nicht mehr, der Inhalt wurde vor 20 Jahren in das reguläre Archiv überführt. Der «gesonderte Bestand», von dem die Studie spricht – Akten von beschuldigten und verurteilten Priestern – besteht aus fünf Kartonschachteln, die auf einem Regal neben Dutzenden weiterer Schachteln mit Personaldossiers lagern. Um ein genaueres Bild über die Missbrauchsfälle im Bistum Basel zu erhalten, müssten diese alle noch durchforstet werden.

Schrank an Schrank

Rolf Fäs, der Historiker, und seine Mitarbeiterin Alexandra Mütel, die Kunstgeschichte und Archivwissenschaft studiert hat, sind gespannt, was die Fortsetzung der Studie noch zutage befördert. Das Bistumsarchiv erhält schon in der Pilotstudie gute Noten. Die Verfasserinnen und Verfasser rühmen den «vollständigen und unkomplizierten Zugang». Die Archivräume entsprächen den höchsten Standards der Aufbewahrung». Nach dem Um- und Neubau vor vier Jahren lagern die Bestände vor allem in zwei Kellerräumen. Hier ist es permanent 17 Grad kühl bei 43 Grad Luftfeuchtigkeit, Rollschrank reiht sich an Rollschrank. Fäs und Mütel suchen diesen Ort nur auf, wenn sie alte Unterlagen brauchen, die noch nicht digitalisiert sind.

Rolf Fäs, Archivar. | Foto: José Martinez

Ein paar Laufmeter Röschenz

Das Bistumsarchiv ist für die Überlieferung des Schriftguts der bischöflichen Verwaltung seit 1828 zuständig. In jenem Jahr wurde das Bistum Basel neu umschrieben und der Bischofssitz nach Solothurn verlegt. Es gibt zum Beispiel viele Regale zur «Kirchengeschichte Schweiz», es finden sich ein paar Laufmeter «Röschenz» und ein Schrank ist mit «Bestand Domkapitel» angeschrieben. An der Betonwand hängen die gemalten Porträts der Bischöfe von Streng, Hänggi und Wüst. Wie viel das alles ausmacht? Fäs weiss es nicht. Nur noch, dass beim Neubau von drei bis vier Kilometern Regalen die Rede gewesen sei. Zielsicher greift  er dann die Schachtel mit der Urkunde heraus, mit der Papst Leo XII. am 7. Mai 1828 die Wiederherstellung und Neuumschreibung des Bistums Basel bestätigte.

Die Urkunde, mit der Papst Leo XII. am 7. Mai 1828 die Wiederherstellung und Neuumschreibung des Bistums Basel bestätigte. | Foto: José Martinez

Derweil zeigt Mütel aus einem Karton mit neueren Beständen ein Schreiben besorgter Katholikinnen und Katholiken aus einer Berner Diaspora-Pfarrei von 1966, in der diese beim damaligen Bischof Franziskus von Streng den Weggang ihres «hochverdienten Herrn Pfarrers» beklagten. Das eine Dokument ist ein gesiegeltes Pergament, das andere ein getippter Brief auf dünnem Papier. «Beide sind gleich wertvoll», betont Mütel. Manche Leute dächten beim Stichwort Archiv nur an alte Verträge und dergleichen. Doch ein Geschehen dereinst nachvollziehbar zu machen, hängt nicht von der Form ab, sondern von der Aufbewahrung selbst und der Ordnung.

Was digital archivieren?

In dieser Hinsicht wird es freilich immer anspruchsvoller. «Je näher wir der Gegenwart sind, desto mehr», sagt Mütel. Will heissen: «Wir kämpfen mit der Masse», erklärt Fäs. Seit das Bistum vor gut fünf Jahren begonnen hat, die laufende Ablage nur noch elektronisch zu führen, stellt sich die Frage täglich: Welche E-Mail muss gespeichert, welches Dokument wo abgelegt und mit welchem Schlagwort versehen werden? Das ist entscheidend, wenn nach zehn Jahren ein Dossier aus der laufenden Ablage ins neue digitale Archiv überführt werden soll.

Das Bewusstsein schärfen

2028 wird dies erstmals der Fall sein. Weil bis dahin die Technik noch Fortschritte machen wird, wissen sie noch nicht, wie sie dann vorgehen werden. Sicher ist bloss: Der Computer nimmt Arbeit ab, aber keine Entscheide. Die Mitarbeitenden bleiben selbst veranwortlich dafür, was abgelegt wird – und dereinst archiviert. Fäs muss das Bewusstsein dafür immer wieder schärfen. «Wir stützen uns heute auf die alten Unterlagen. Sollen unsere Nachkommen sich dereinst auf die Unterlagen von heute stützen können, müssen diese von Beginn weg richtig abgelegt werden.»

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