04.12.2023

Nirgends kommt der Samichlaus in so viele Stuben wie in der Schweiz.
Das grosse Samichlaus-Interview

Von Eva Meienberg

  • Was hat der Samichlaus mit dem Katechismus zu tun und was ist ein Chlausenbein?
  • Warum waren die Samichläuse früher politisch und handelt es sich beim schwarzen Gesicht des Schmutzli um Blackfacing?
  • Antworten dazu gibt es vom Samichlaus alias Hans-Peter «Buda» Rust.

Lieber Samichlaus, darf ich «du» sagen?
Samichlaus: Ja, unbedingt! Kinder und die Erwachsenen duzen mich, das ist so üblich.

Wie würdest du dein Äusseres beschreiben?
Ich trage ein Bischofsornat, dazu gehört die Albe, eine Stola oder Cordel und der Mantel. Ganz wichtig sind die Mitra und der Bischofsstab. Ich trage seit Jahrhunderten einen Bart und ich achte darauf, dass auf der Stirn einige weisse Locken hervorlugen. Aber viel wichtiger als wie ich aussehe, ist, wer ich bin.

Wer bist du, Samichlaus?
Ich bin der Nachfolger des Heiligen Nikolaus, der zwischen 260-270 in der lykischen Hauptstadt Patara geboren, bereits jung zum Bischof von Myra in der heutigen Türkei gewählt wurde und am 6. Dezember des Jahres 336 oder 337 starb.

Was ist deine Mission?
Als Samichlaus halte ich die Erinnerung an den Heiligen Nikolaus wach und bereite den Menschen bei meinem Besuch mit lobenden und dankenden Worten Freude.

Hans-Peter (Buda) Rust
war Schriftsetzer und Journalist und besucht seit 35 Jahren Familien als Samichlaus. Er hat sich einen Namen gemacht als Nikolaus-Forscher und drei Bücher zur Nikolaus-Verehrung und zum Nikolaus-Brauchtum in der Schweiz verfasst: «In Seenot – Der hl. Nikolaus und die Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee»; «Sankt Nikolaus – Verehrung und gelebtes Brauchtum»; «Klausjagen Küssnacht am Rigi». Vergangenes Jahr hat er die Interessengemeinschaft Samichlaus Brauchtum Schweiz mitbegründet.

Erzähle mir noch etwas mehr über deine Herkunft.
Es gibt verschiedene Legenden über meine Herkunft. Die älteste ist die Stratelaten-Legende aus dem 6. Jahrhundert, in der der heilige Nikolaus drei zu Unrecht verurteilte Feldherren vor dem Tod durch das Richterschwert rettet. Aber die wichtigste Erzählung stammt aus der Jungfrauen-Legende. Da schenkt der Heilige Nikolaus einer armen Familie mit drei Töchtern unerkannt drei Goldstücke, um den Töchtern eine Mitgift für die Hochzeit zu schenken und sie so vor der Prostitution zu bewahren. Die drei Goldkugeln gehören darum zum bekanntesten Attribut des Heiligen. Bei meinen Hausbesuchen erzähle ich den Kindern, dass Nikolaus aus einer reichen Familie stammte und dass er nach dem frühen Tod seiner Eltern seinen ganzen Besitz verschenkt hat.

Was ist deine Botschaft?
Denkt nicht nur an euch, sondern auch an eure Mitmenschen!

Das Lieblingsversli des Samichlaus

My Fründ, de Maxli

Nid so luut!, seid amigs s Mami.
S Glyche seid de Papi au.
Ornig ha im Veloruum!,, 
rüeft am Abwart syni Frau.

Stille sitze! Schöner ässe!
Nase putze nid vergässe!
So vill sett mer, 
isch doch gschpässig.
Überhaupt, das macht eim hässig! 

Au my Fründ, de Maxli, weisch,
regt sich ab so Sache uuf.
Bitte gib ihm au es Gschänk.
Er freut sich scho riisig druuf. 

Anita Schorno, Aus «Immer bi-ba-bubi-brav» von Anita Schorno

Wie bist du aus dem damaligen Byzanz in unser Gebiet gekommen?
Auf zwei Wegen. Zum einen im Gepäck der byzantinischen Prinzessin Theophanu im Jahr 972, die den weströmischen Kaiser Otto II. heiratete. Seit dem 6. Jahrhundert wurde der Heilige Nikolaus im byzantinischen Reich sehr verehrt. Andererseits mit den Gebeinen des Heiligen, die 1087 nach Bari gebracht wurden in den Hafen, wo die Kreuzfahrer in See gestochen sind, um das «Heilige Land» zu erobern. Der Heilige Nikolaus war nämlich als Patron der Seefahrer bekannt, was auf eine Erzählung in der «Legenda aurea» aus dem 13. Jahrhundert zurückgeht. Darin hat er eine Mannschaft in Seenot gerettet.

Über die Jahrhunderte gibt es unzählige Bilder von dir. Welches ist dir das liebste?
Sehr berührt bin ich von den Ikonen der orthodoxen Kirche des Ostens, wo der Heilige Nikolaus auf Stufe der Gottesmutter Maria verehrt wurde. Auf unzähligen Ikonen flankieren die Gottesmutter und der Heilige Nikolaus Jesus. Auf diesen Bildern hat der gealterte Nikolaus immer ein gütiges Gesicht und strahlt Weisheit aus. Allerdings als Bischof der orthodoxen und nicht mit den Bischofs-Insignien der Westkirche, wie er bei uns bekannt ist.

Wie erklärst du den Kindern heute, dass es dich schon seit Jahrhunderten und in so grosser Zahl gibt?
Ich erkläre den Kindern, dass es nicht möglich ist, dass ein Samichlaus allein alle Kinder besuchen kann. Das leuchtet ihnen sofort ein, Rückfragen dazu habe ich noch nie bekommen.

Viele Samichläuse, die alle die Erinnerung an den Heiligen Nikolaus wach halten. | Foto: Roger Wehrli

Seit wann besuchst du die Kinder in der Schweiz?
Die Verehrung des St. Nikolaus in der Schweiz war zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert am grössten. In dieser Zeit war der Name Nikolaus der zweithäufigste Vorname im Gebiet der heutigen Schweiz. Damals entstanden verschiedene Brauchtumsformen, unter anderem der Familienbesuch. Die frühesten Quellen dazu datieren ins 16. Jahrhundert. Brisantes Beispiel einer solchen Quelle ist der Eintrag im Haushaltbuch der Familie von Martin Luther aus dem Jahr 1535. Dort sind die Ausgaben für den Nikolaus-Besuch aufgelistet, obwohl der Reformator die Heiligen-Verehrung abgeschafft hatte. In den Jahren ab 1920 hat sich der Brauch der Familienbesuche stark verbreitet. Nirgends wird heute dieser Brauch so intensiv gelebt wie in der Schweiz.

Wie muss ich mir einen Hausbesuch um 1920 vorstellen?
In dieser Zeit kam ich zu den Kindern nach Hause und habe sie nicht selten über den Katechismus abgefragt. Die Kinder mussten mir das sogenannte Chlausenbein zeigen. Auf diesem langen Holzstück hatte es verschiedene Kerben. Je grösser das Vergehen des Kindes, desto tiefer war die Kerbe. Für jedes Vaterunser durfte das Kind auf der anderen Seite des Chlausenbeins ebenfalls eine Kerbe machen, als Beweis für seine Sühne.

Der Samichlaus ist in der digitalen Welt angekommen; Emails erleichtern seine Arbeit sehr. | Foto: Roger Wehrli

Wie hat sich dein Besuch in jüngster Zeit verändert?
Heute bekomme ich von den Eltern vor meinem Besuch ein Datenblatt gemailt. Das erleichtert mir meine Arbeit sehr. Jetzt kann ich alle Familienmitglieder mit dem richtigen Namen ansprechen. Es kommt darauf an, ob ein Kind Mamma oder Mam sagt. Da es immer mehr Patchwork-Familien gibt, bin ich froh, wenn ich weiss, wer wer ist.

Besuchst du alle Menschen unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit?
Ja, schliesslich ist Nikolaus der Heilige der Ökumene.

Welche Beziehung hast du zu Gott?
Es gibt Menschen, die sehen mich als Statthalter Gottes. Ich versuche ein gottgefälliges Leben vorzuleben.

Wenn auch die Details stimmen, hilft das, die Aura von Würde und Liebe zu stärken. | Foto: Roger Wehrli

Kannst du Wunder wirken?
Nein.

Bist du politisch?
Heute sind wir politisch und religiös neutral. Aber noch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in der Gemeinde Schwyz politisch gefärbte Samichläuse. Einen liberalen, einen katholisch-konservativen und einen christlich-sozialen. Da konnte es passieren, dass die drei gleichzeitig zum Hausbesuch erschienen. Es gibt sogar Berichte über Schlägereien von Samichläusen. Heute sehen wir das glücklicherweise nicht mehr so eng.

Das heisst, auch ein Atheist könnte Samichlaus werden?
Wenn sich jemand berufen fühlt und das Brauchtum in Erinnerung an den Heiligen Nikolaus ausüben möchte, sind alle herzlich willkommen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Religionszugehörigkeit.

Auch Frauen?
Traditionell und historisch ist der Samichlaus ein Mann, daran möchte ich festhalten. Aber in Basel gibt es beispielsweise auch Chläusinnen.

Der Schmutzli, einst ein Teufelskerl, ist heute der sanfte treue Begleiter des Samichlaus. | Foto: Roger Wehrli

Wann hast du den Schmutzli kennen gelernt?
Das ist so lange her, ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Ich bin sehr auf seine Hilfe angewiesen. Allein könnte ich all die Geschenke nicht zu den Kindern bringen.

Der Schmutzli hat sich in den vergangenen Jahren zu deinem stillen Helfer gewandelt. Das war nicht immer so, stimmts?
Der Ursprung des Schmutzli ist tatsächlich der Teufel. In früheren Zeiten war ich die Symbolfigur für das Gute und der Schmutzli für das Böse. Die Vorstellung der Welt war von einem christlichen Dualismus geprägt. Ich habe zu Hause Postkarten, die sind gut 120 Jahre alt, darauf hat der Schmutzli Hörner und eine rote Zunge wie der Teufel. Aber schon damals war er unter den Fittichen des Samichlaus, manchmal sogar an einer Kette. Strafen androhen durfte der Schmutzli nur mit Einwilligung des Samichlaus.

Handelt es sich beim schwarzen Gesicht des Schmutzli um Blackfacing?
Nein, das schwarze Gesicht des Schmutzli ist ebenfalls ein teuflisches Attribut. Der Teufel ist aus dem himmlischen Licht in die ewige Finsternis gefallen, darum ist Schwarz die Farbe des Teufels.

Und was ist mit der Rute?
Wenn ich in der Innerschweiz unterwegs bin, hat der Schmutzli seine Rute dabei, aber er braucht sie nie. Im Kanton Zürich oder Solothurn etwa nimmt er sie gar nicht mehr mit.

Warum bringst du Nüssli, Mandarinli und Lebkuchen?
Das hat sich seit den 1920er-Jahren so eingebürgert. Übrigens darf im Chlaussäckli auch der Apfel nicht fehlen. Der Lebkuchen hat eine lange Tradition und gehört zu den Gebildebroten. Die Holzmodel, mit denen dem Teig ein Bild eingeprägt wurde, datieren zum Teil ins 16. Jahrhundert und zeigen auch die Figur des Samichlaus. Traditionellerweise gehört zu den Samichlaus-Geschenken auch der Grittibänz, der früher in seiner Form dem Samichlaus glich.

Die Verwandlung vom Mann zum Samichlaus haben die Organisatoren der Samichlaus-Synode fotografisch festgehalten. | Foto: Roger Wehrli

Bist du verwandt mit dem Coca-Cola-Chlaus?
Sinterklaas aus Holland ist mit den holländischen Auswanderern im 17. Jahrhundert nach Amerika gereist. Er ist der Vorgänger von Santa Claus und dieser war die Vorlage für den Coca-Cola-Santa aus dem Jahr 1931. Insofern sind wir entfernte Verwandte.

Wie findest du ihn?
Ich finde ihn kommerziell. Als Samichlaus stehe ich nicht für Kommerz ein.


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