07.02.2022

Serie «Hebräische Grundbegriffe», Teil 2
Glauben heisst Vertrauen leben

Von Marie-Christine Andres Schürch

  • Der zweite Teil der Serie «Hebräische Grundbegriffe» widmet sich dem Wort «Emuna»​.
  • In der Hebräischen Bibel kommt «Emuna» als Nomen nur zweimal vor und wird mit dem deutschen Begriff «Glauben» übersetzt.
  • Doch dahinter steht etwas weit Persönlicheres.

Warum kommt «der Glaube» in der hebräischen Bibel, dem sogenannten Alten Testament, kaum vor? Im Christentum gehört es zu den Gottesdiensten, das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Dessen zwölf Aussagen sollen die Gläubigen für wahr halten und bekennen. Im Neuen Testament gibt es fast 500 Belege für das Verb «glauben» und seine Nominalisierung. Nur in der Tora kommt es als Nomen kaum vor.

Viele Lesarten


Hebräisch unterscheidet sich massgeblich von unseren Sprachen. Es ist nicht ein ähnlicher Weg, dasselbe zu sagen, sondern ein völlig anderer Zugang. Die Sprache wird von rechts nach links geschrieben, Bücher beginnen nach unserem Verständnis hinten. Die Worte werden mit einer Wurzel aus drei Konsonanten gebildet. Damit sind mehrere Lesearten möglich. Um den Bibeltext festzulegen, haben die Masoreten, die Herren der Überlieferung, ihn im Zeitraum zwischen 700 bis 1000 nach Christus vokalisiert. Die Vokale werden mit Punkten unter und über dem Wort festgelegt. An das Wort werden Partikel angehängt für Geschlecht, Zahl, und Ähnliches. Dazu kann ein Verb bis zu sieben Formen mit unterschiedlicher Bedeutung haben. Darum hat das Hebräische einen relativ kleinen Wortschatz mit vielen Wurzeln mit unterschiedlichen Bedeutungen. So heisst das Wort «Mishpat» je nachdem Gerichtsort, Gerichtsverhandlung, Gerichtsurteil, Urteil, Strafe, Verbrechen, Verpflichtung, Amt oder Rechtschaffenheit.

Serie «Hebräische Grundbegriffe»

Die Autorin dieses Beitrags, die Theologin Christiane Faschon, war von 2007 bis 2017 Präsidentin der Gemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz AGCK. Horizonte veröffentlicht in loser Folge ihre Artikel über theologische Grundbegriffe. Teil 1, «Barach – Segen», finden Sie hier.

Die Texte des Alten Testaments wurden ursprünglich auf Hebräisch und wenige auch auf Aramäisch verfasst. Das neue Testament wurde auf Griechisch verfasst. Die Hebräische Bibel wird in jüdischer Tradition als «Tanach» bezeichnet und besteht aus den Teilen Tora (Weisung), Nevi’im (Propheten) und Ketuvim (Schriften). Im 3. Jahrhundert v. Chr. entstand eine Übersetzung der hebräischen Texte ins Griechische, die sogenannte «Septuaginta». Die Legende erzählt, dass diese Übersetzung von 70 Gelehrten angefertigt wurde, die unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis kamen. «Septuaginta» ist lateinisch für «siebzig» und die Übersetzung wird oft mit dem römischen Zahlzeichen «LXX» abgekürzt. In den nächsten Wochen erscheinen weitere Beiträge zu den Begriffen «Emuna – Glauben» und «Zedaka – Spende».

«aman» – «Amen»

Emuna kommt bei 5. Mose 32,20 und Habakuk 2,4 vor. Wir übersetzen es in unseren Bibeln mit «Glaube»; eine mangelhafte Übersetzung. In «emuna» steckt das hebräische Wort «emun», Vertrauen. Das Wort geht auf «aman» (fest / sicher / zuverlässig sein) zurück. Das meint, in Gott und seinem Wort einen zuverlässigen Halt und einen Grund finden. Das Wort «Amen» gehört auch zu diesem Umfeld.

Lernen ist Pflicht


Glauben ist in der hebräischen Bibel eine Tätigkeit, die nichts damit zu tun hat, ob man einen Glaubenssatz für wahr hält. Sie wird mit einem Verb ausgedrückt, muss immer wieder neu gefunden und gelebt werden. Ein gutes Beispiel ist Abraham, der Gottes Verheissung vertraut, dass er noch als betagter Mann Nachkommen sehen wird – gegen alle Vernunft. «Emuna» meint, sich Gott anzuvertrauen. Damit dies möglich ist, müssen wir ihn kennenlernen. Dies geschieht dadurch, dass wir uns lebenslang in sein Wort und seine Weisungen vertiefen, sie lernen. Darum ist im Judentum Lernen eine religiöse Pflicht für alle, nicht nur für Spezialisten. Weitere Begriffe im Umfeld dieses Vertrauens sind: erkennen, suchen, fragen nach, harren, hoffen auf den Ewigen.

Sich Gott anvertrauen


«Emuna» steht dafür, sich Gott aktiv zuzuwenden und gerade nicht für ein passives Anerkennen von Glaubensaussagen. Es geht um unsere Beziehung zum Ewigen, zu uns selbst, zu unserer Gesundheit, unserer Familie, zum Beruf bis hin zum Klimaschutz. Die Tora zeigt, dass es nicht um emotionale Aufwallungen in besonderen Momenten geht, nicht darum, hie und da «Gott die Ehre zu geben». Es geht um den Alltag, die Tage und Nächte.

Vertrauen ist grundsätzlich


«Emuna» heisst Vertrauen. Vertrauen ist grundsätzlich: Entweder traue ich einer Person oder ich traue ihr nicht. Da gibt es keine halben Sachen. Gerade die Psalmen zeigen, wie dieses Vertrauen in Gott selbst in schwierigen Zeiten angefochten wird und doch immer wieder trägt. Übrigens kennt das Judentum kein offizielles Glaubensbekenntnis. Das «Schma Israel» («Höre Israel»), das viele für das Glaubensbekenntnis halten, ist ein Gebet. Sein Beginn lautet: «schema jisrael adonai elohenu adonai echad»: «Höre Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins /einer / einzig…». Dieses Gebet wird täglich gebetet. Es ist ein Gebet, das den Glauben zum einen Gott bekennt, aber es ist kein Glaubensbekenntnis im kirchlichen Sinn.


Weitere Beiträge der Serie «Hebräische Grundbegriffe»

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