13.04.2023

Podiumsgespräch zu einer Frage, die an Aktualität gewinnt
«Hat der Friedhof ausgedient?»

Von Vera Rüttimann

  • Der Friedhof hat nicht ausgedient, soviel vorweg.
  • Aber die Friedhöfe verändern sich mit den individuellen religiösen Bedürfnissen der Menschen.
  • Ein Podiumsgespräch in Lenzburg, das im Rahmen der Ausstellung Lebenswerk Lebensende zum 95. Geburtstag der Hospizgründerin Luise Thut stattfand, hat sich mit der Zukunft des Friedhofs befasst.

Individualismus, Mobilität und Multireligiosität hinterlassen auch im Bestattungswesen Spuren. «In den kommenden Jahren kommen so viele Menschen ins sterbefähige Alter wie noch nie», sagt Moderatorin Carmen Frei. Aber längst nicht alle wollen auf dem Friedhof bestattet werden. Denn in der Schweiz gibt es keinen Friedhofzwang. Zudem gibt es neue Bestattungsformen wie etwa die Erdigung, bei der der Körper kompostiert wird.

Ort der Stille oder Oase

Reto Bühler, Leiter des Zürcher Friedhof Forum (re) und die Bestattungsunternehmerin Claudia Moldovany. | Foto: Vera Rüttimann
Mit den Bestattungsformen ändern sich auch die Friedhöfe. Reto Bühler, Leiter des Zürcher Friedhof Forum, schildert das anschaulich. Der Druck auf Friedhöfe werde immer grösser. Dass immer mehr Menschen in den Parkanlagen ihre Freizeit verbringen, führe auch zu Konflikten: «Es gibt Leute, die sich ausziehen, grillieren oder Sport treiben.» Es stelle sich die Frage, wie die Menschen mit ihren Freizeitbedürfnissen auf dem Friedhof integriert werden könnten. Für Reto Bühler hat der Friedhof nicht ausgedient. Er müsse aber mit der Zeit gehen. «Wir werden auf dem Friedhof Sihlfeld als Erste ein Grabfeld für LGBTQ-Menschen machen», sagt Reto Bühler, der sich nach seinem Tod eine Erdigung wünscht.
Reto Bühler, Leiter des Zürcher Friedhof Forum spricht auf dem Podium im Müllerhaus Lenzburg am 27. Februar 2023. | Foto: Vera Rüttimann

Grabstein, Baum, Erdigung

Markus Dietiker, Leiter der Firma Himmlische Eichen – Bestattungen im Wald der Lenzia. | Foto: Vera Rüttimann
Damit kann Valeria Hengartner nichts anfangen. Sie möchte ein Grab, um davor still trauern zu können. Die katholische Theologin wünscht sich aber, dass Grabstätten individueller gestaltet werden können. Wie etwa die Gemeinschaftsgräber für früh verstorbene Kinder auf den Friedhöfen in Aarau und Lenzburg. «Das sind wunderschöne Orte zum Trauern», sagt die Spitalseelsorgerin, «die Trauernden treffen sich dort und fühlen sich nicht allein». Markus Dietiker, Inhaber der Firma Himmlische Eichen – Bestattungen im Wald der Lenzia, bietet Baumbestattungen an. «Die meisten Kundinnen und Kunden haben einen persönlichen Bezug zu unseren Bäumen», berichtet er. Warum Menschen ihre Asche bei einem Baum bestattet haben wollten, fragte eine Zuhörerin. «Manchen Leuten gefällt das Gemeinschaftsgrab der Gemeinde nicht. Andere haben keinen Bezug mehr zur Kirche und wollen deshalb nicht auf dem Friedhof neben der Kirche bestattet werden», nennt Markus Dietiker mögliche Gründe.

Die Toten sind allgegenwärtig

Carmen Frei leitete die Podiumsdiskussion über die Zukunft des Friedhofs. | Foto: Vera Rüttimann
Moderatorin Carmen Frei stellt bei ihren Spaziergängen am Hallwilersee immer wieder fest: «Dieser Ort ist ein Grossfriedhof.» Das merke sie an den brennenden Kerzen am Ufer im Sand, hingestellt von Angehörigen eines Verstorbenen, dessen Asche sie im See verstreut hätten. «Wenn ich durch das Wasser schwimme, kommen mir nicht selten Rosenblüten entgegen.» Die Toten seien heute überall, sagt Carmen Frei, das fänden nicht alle Menschen gut. Bestattungsunternehmerin Claudia Moldovànyi weist das Publikum darauf hin, dass die Asche eines Verstorbenen nicht einfach verstreut werden solle. «Das ist pietätlos. Keiner will auf dem See durch die Asche eines Verstorbenen schwimmen», sagt die Bestattungsunternehmerin lakonisch. Sie selbst arbeite mit Salzurnen: «Die gehen im Wasser sofort unter wie Steine und lösen sich auf.» Für die Wasserbestattung suche sie sich die tiefste Stelle im See aus.

Die katholische Theologin und Spitalseelsorgerin Valeria Hengartner. | Foto: Vera Rüttimann
Die Urne im Büchergestell aufzubewahren, findet die Theologin Valeria Hengartner problematisch. «Auf diese Weise ist es schwierig, sich von der verstorbenen Person zu trennen.» Auch der Seebestattung kann sie nicht viel abgewinnen: «Der Trauerprozess geht durch verschiedene Phasen. Wir wissen nicht, ob wir später nicht doch das Bedürfnis haben, ein Grab aufzusuchen.»

Büro für die letzte Reise

Für Reto Bühler ist ein Friedhof immer auch ein Ort der kulturellen Auseinandersetzung mit dem Tod. Auf dem Friedhof Sihlfeld veranstaltet das Büro für die letzte Reise deshalb kunsthistorische Führungen, Konzerte und Ausstellungen. Reto Bühler ist überzeugt: «Der Friedhof ist kein abgeschlossener Ort. Wir leben mit ihm. So, wie wir auch mit dem Tod leben.»


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