28.08.2023

Ein Bett für die Nacht in der Notschlafstelle Aargau in Baden
«Niemand ist gegen Obdachlosigkeit gefeit»

Von Eva Meienberg

  • Seit vier Jahren empfängt Susi Horvath ihre Gäste an der Oberen Halde 23 als Betriebsleiterin der Notschlafstelle Aargau.
  • Hier finden Menschen ohne Obdach ein offenes Ohr, eine warme Mahlzeit und ein Bett für die Nacht.
  • Ohne den Einsatz von freiwilligen Helfenden wäre der Betrieb nicht möglich.

Susi Horvath leitet die Notschlafstelle in Baden, wo sie mich am Nachmittag vor der Betriebszeit empfängt. «Ich bin für diese Arbeit geboren», sagt die Betriebsleiterin. Sie brauche nur wenig Schlaf. Ideal für die Arbeit in der Nacht. Drei bis vier Mal pro Woche empfängt Susi Horvath ihre Gäste an der Oberen Halde 23. Geöffnet ist die Notschlafstelle von 20 Uhr bis am nächsten Morgen um 9 Uhr. Wer einen Schlafplatz braucht muss bis 23 Uhr eingecheckt haben. 15 Betten stehen in kleinen Zimmern auf vier Etagen zur Verfügung. Seit der Eröffnung vor vier Jahren hat die Notschlafstelle rund 600 Menschen Unterschlupf geboten.

Armut, Krankheit und Sucht

Knapp die Hälfte der Gäste sind von Armut betroffen. Sechs Prozent leiden an einer psychischen Krankheit, vierzehn Prozent haben ein Suchtproblem und gerade so viele leiden an beidem. Und allen gemeinsam ist, dass sie kein Dach über dem Kopf haben. Während Corona etwa waren häufig Männer zu Gast, die von zu Hause weggewiesen wurden, weil die Spannungen in der Familie nicht mehr aushaltbar waren. Susi Horvath kennt die Menschen hinter den Zahlen und weiss: «Niemand ist vor Obdachlosigkeit gefeit.»

Teamleiterin Susi Horvath arbeitet seit der Eröffnung für die Notschlafstelle. | © Roger Wehrli

Wenn sie die Türe der Notschlafstelle öffnet, lässt sie die Gäste einzeln ein. Das sei ein wichtiger Moment. Susi Horvath versucht dann zu spüren, wie es den Gästen geht und was sie brauchen. Manchmal fragt sie: «Hast du Hunger?» oder: «Nimm doch eine Dusche, wenn du möchtest, bringe ich dir frische Kleider, das wird dir guttun.» Alle Gäste fragt sie nach Alkohol und Drogen. Diese Substanzen müssen sie abgeben. Wenn die Gäste wieder auschecken, erhalten sie alles wieder zurück. In der Zwischenzeit bekommen sie eine warme Mahlzeit, eine Dusche, frische Wäsche, ein offenes Ohr, wenn sie dies Wünschen und vor allem – ein Bett für die Nacht. Das alles für fünf Franken.

Serie Diakonie, Teil 5: Notschlafstelle Aargau

Die Fachstelle Diakonie der Katholischen Landeskirche Aargau setzt sich dafür ein, dass Solidarität in der Kirche gelebt und praktiziert wird. Mit einer Artikelserie zur Diakonie macht sie das diakonische Schaffen in der Kirche, in Vereinen und sozialen Institutionen sichtbar. | www.kathaargau.ch/diakonie

Engagement der Kirchen

Der Betrieb der Notschlafstelle kostet jährlich 210‘000 Franken. Seit vergangenem Jahr unterstützt der Kanton die Notschlafstelle mit 150‘000 Franken jährlich. Der Rest stammt von Spenden und Legaten. Bevor sich der Kanton an der Finanzierung beteiligt hat, haben die Landeskirchen und der Lotteriefonds neben den Spenden die Institution hauptsächlich finanziert. Die Kirchen engagieren sich weiter für die Notschlafstelle etwa mit dem Präsidium des Vorstandes. Susanne Muth, Leiterin der Fachstelle Diakonie der römisch-katholischen Kirche im Kanton Aargau, ist Präsidentin des Vereins Notschlafstelle.

Neben Susi Horvath arbeiten drei Betreuende in der Notschlafstelle. Jede Nacht ist eine festangestellte und eine freiwillige Betreuungsperson vor Ort. Ohne den Einsatz der freiwilligen Helfenden könnte der Betrieb nicht geführt werden. Seit Corona sei es jedoch schwierig mit den Freiwilligen, sagt Susi Horvath. Unter ihnen hatte es viele ältere Menschen, die während der Pandemie zu den besonders gefährdeten Personen gehörten und ihren Dienst nicht mehr leisten konnten. Nach Corona haben einige von ihnen den Freiwilligendienst quittiert.

Freiwillig und professionell ausgebildet

«Wer freiwillig in der Notschlafstelle arbeiten möchte, muss mit beiden Füssen auf dem Boden stehen, sich durchsetzen können, ein offenes Ohr und ein grosses Herz haben», sagt die Betriebsleiterin. Manchmal müsse man einstecken können. Aber Selbstschutz gehe vor Fremdschutz. In diesem Sinne werden die Mitarbeitenden jährlich professionell ausgebildet. Sie wissen, wie sie deeskalieren können, wenn die Wut aufsteigt. Wenn ein Gast aggressiv wird, rufen die Betreuenden sofort die Polizei. Das sei aber in vier Jahren nur wenige Male vorgekommen. Denn die meisten Gäste seien extrem dankbar, dass sie in der Notschlafstelle Unterschlupf fänden.

»Ich wünsche mir, dass unsere Gäste noch mehr die Angebote nützen, die wir ihnen bieten», sagt Susi Horvath. Denn wer länger als sieben Tage in der Notschlafstelle bleiben will, muss eine Sozialberatung beim Verein HOPE in Anspruch nehmen. Das christliche Sozialwerk bietet acht Plätze in der Notpension an, die durch Sozialleistungen finanziert werden. Die Plätze befinden sich ebenfalls an der Oberen Halde 23. Für die Gäste, denen es gelingt, sich in die Strukturen einzufügen, stehen Plätze im Wohnzentrum des Vereins HOPE zur Verfügung. Von da geht es für sie vielleicht weiter ins Wohnexternat. Wer das geschafft hat, ist wieder bereit für eine eigene Wohnung.


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