03.12.2018

Seelsorge und Sterbehilfe: Dabei bleiben oder gehen?

Von Andreas C. Müller

  • Vergangenen Mittwoch, 28. November, 2018, wurde in Muri das Verhältnis der Seelsorge zur Sterbehilfe diskutiert. Gegenüber Horizonte hatte im Vorfeld Heimseelsorger Andreas Zimmermann öffentlich gemacht, dass er einer Person auf ihrem Weg mit «Exit» bis zuletzt beigestanden hatte.
  • An der Veranstaltung in Muri brachte die Bio- und Ethikkommission der Schweizer Bischofskonferenz SBK ihre Sicht ein (siehe Interview mit Roland Graf).
  • Von der zuständigen Aargauer Fachstelle für Heim- und Spitalseelsorge der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau war niemand anwesend. Die Fachstelle hatte allerdings im Vorfeld an ihre Angestellten die Order erlassen, «auf Anfragen seitens der Presse auf Interviews zu verzichten».

 

Über 200 Personen kamen am vergangenen Mittwochabend, 28. November 2018, auf Einladung von Palliativ Aargau nach Muri. Dort wurde der Fall einer 60-jährigen Frau besprochen, die in der «pflegimuri» » mit einer Sterbehilfe-Organisation ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte.

Grosser Ansturm – Das Thema beschäftigte

Der Ansturm übertraf die Erwartungen. «Es zeigt, dass das Thema die Leute beschäftigt und es für Menschen mit bedeutenden Einschränkungen eine zentrale Fragestellung ist», erklärte Carmen Frei, Kommunikationsverantwortliche der «pflegimuri» gegenüber Horizonte.

Auf dem Podium berichteten Angehörige der Verstorbenen, der Heimseelsorger Andreas Zimmermann (im Bild ganz links) und die Pflegeverantwortliche Irène Syla. Moderiert wurde der Abend von Daniela Foos von Palliative Aargau.

Interviewverbot für Seelsorgende

Für Horizonte hatte der Heimseelsorger Andreas Zimmermann bereits vorab berichtet, wie er die mittlerweile Verstorbene begleitet hatte. Auf das Interview hatte die Horizonte-Redaktion viele Reaktionen erhalten. Viele Leserinnen und Leser meldeten sich telefonisch und lobten den Mut von Seelsorger Andreas Zimmermann. «Es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Solche Menschen braucht es», schrieb eine Leserin auf WhatsApp.

Ein Seelsorger gab demgegenüber in einer längeren Stellungnahme allerdings zu bedenken, dass der erfolgte Suizid nirgends als solcher benannt werde. «Einmal mehr hat sich die Sprachregelung Sterbehilfe durchgesetzt, weil sie gedankenlos übernommen wird. Und damit verbunden die fast romantisierende Schilderung ihres Vollzugs. Wer darauf hinweist, dass dies keine Hilfe im Sterben ist, sondern Suizidbeihilfe, riskiert böse Reaktionen, wenn nicht Beschimpfung». In jedem Fall sollte «der Seelsorgende vor der Türe dieses „Exits“ stehen bleiben.»

«Der Seelsorger soll zum Leben ermutigen»

Ein Kirchenpfleger kritisierte, dass im Rahmen des Artikels nicht erklärt wurde, «weshalb eine solche Form der Sterbehilfe nach katholischem Verständnis nicht erlaubt ist». Es hätte nachgefragt werden müssen, «inwiefern Seelsorger nicht die Pflicht haben, Entscheide zu beurteilen – vor allem, wenn es um existentielle Fragen geht.» Und in Anbetracht der Gefahr des Nachahmungseffekts müsse man sich fragen, ob es denn nicht besser sei, «dass man darüber schweigt, beziehungsweise ihm (Anmerkung der Redaktion: Andreas Zimmermann) keine Plattform gibt.»

Ähnlich äusserte sich auch ein Leserin: Solche Artikel wie das Interview mit Andreas Zimmermann hätten eine fatale Signalwirkung. Organisationen wie «Exit» machten aktiv Propaganda und ältere Menschen meldeten sich dann an, weil sie Angst um ihre Lebensqualität hätten. Sie habe erlebt, wie sich eine ältere Frau trotz schwerer gesundheitlicher Einschränkungen dank ihrem Glauben ihren Lebenswillen bewahrt habe. «Würde man so eine Geschichte in Horizonte lesen, könnten sich Kranke daran orientieren und der eine oder andere würde erneut Mut schöpfen.» Auch ein Seelsorger habe die Aufgabe, «den Patienten zu ermutigen und alles daran zu setzen, dass dieser sein Leben lebt.»

«Das ist mein Auftrag: Bleiben und mitaushalten»

An der Veranstaltung in Muri war das Horizonte-Interview für die Gäste aufgelegt worden. Gleichwohl schilderten in der Fallbesprechung auf dem Podium die Schwester und die Schwiegertochter der Verstorbenen noch einmal, wie diese zu ihrem Entschluss gelangte. Ihr Leidensweg habe schon bei ihrer Geburt begonnen: Eine angeborene Gehbehinderung, mit zwei Jahren eine Hirnhautentzündung, später dann Tuberkulose, Alkoholismus, der Tod ihres Sohnes und COPD.

Lobende Worte fanden die Angehörigen der Verstorbenen für die Arbeit von Seelsorger Andreas Zimmermann: «Ganz toll, wie er sich um sie gekümmert hat.» Ein Vertreter der Bio-Ethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz SBK kritisierte hingegen den Heimseelsorger für sein Vorgehen (siehe Kurzinterview anbei). Dieser jedoch entgegnete: «So verstehe ich meinem Auftrag als Seelsorger – dass ich dabei bleibe und mitaushalte». Dafür erntete Andreas Zimmermann langanhaltenden und warmen Applaus.

Diskussion über Rolle der Seelsorge dominierte

Von Seiten der zuständigen Fachstelle für Spital- und Heimseelsorge der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau war in Muri niemand anwesend. Jedoch war im Vorfeld an die Angestellten der Fachstelle die Order ergangen, «auf Anfragen seitens der Presse auf Interviews zu verzichten» und alle öffentlichen Aussagen von Fachstellenleiter Hans Niggeli autorisieren zu lassen. Gegenüber Horizonte wollte sich Hans Niggeli dazu nicht öffentlich äussern, sondern liess via Esther Kuster, Kommunikationsverantwortliche der Römisch-Katholischen Landeskirche ausrichten: «Am Dienstag, 4. Dezember 2018 findet das Fachstellenleitenden-Treffen statt. Wir werden dort den Umgang mit den Medien auf Fachstellenebene diskutieren.»

Die Meinungen der Anwesenden in Muri sympathisierten grossmehrheitlich mit Andreas Zimmermann: «Ich bin zwar katholisch, aber auch ich würde diesen Weg wählen, wenn ich unheilbar an Krebs erkranken würde», outete sich ein älterer Mann. Und Hans Wey, ehemaliger Direktor des Spitals Muri, meinte gegenüber Horizonte:

«Was ist das für eine Seelsorge, die den Menschen allein lässt, wenn die Not am Grössten ist?» Hans Wey bedauerte allerdings, dass im Rahmen der Veranstaltung die Rolle der palliativen Pflege zu wenig Raum hielt.

«Die Leute sollen wissen, was unsere Haltung ist»

Auch Thomas Wernli, Direktor der «pflegimuri», hatte sich bei der Begrüssung für die Selbstbestimmung stark gemacht: «Diese soll auch am Lebensende nicht aufhören», erklärte er. Aus diesem Grunde dürften Menschen innerhalb der «pflegimuri» die Dienste der Sterbehilfe-Organisation «Exit» in Anspruch nehmen. «Ich finde es wichtig, dass die Leute wissen, was unsere Haltung ist – und dass wir diese Thematik nicht verstecken. Das halte ich für falsch», so Thomas Wernli.

 

 

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