04.08.2022

Serie «Hebräische Grundbegriffe», Teil 3
Auf «Zedaka» kann sich keiner etwas einbilden

Von Christiane Faschon

  • Der hebräische Begriff «Zedaka» bedeutet «Spende». 
  • Das Judentum hat eine andere Tradition als das Christentum im Bezug auf das Geben und die Wohltätigkeit.
  • Während Christen Almosen geben, um ein gutes Werk zu tun, ist es für Jüdinnen und Juden eine Pflicht, zu teilen und so zur Heilung der Welt beizutragen.

Das Judentum folgt im Bezug auf das Geben und die Wohltätigkeit einer gänzlich anderen Tradition als es das Christentum tut. Christen geben Almosen, sie sind mildtätig, und sie tun damit ein gutes Werk. Bei Juden und Jüdinnen ist das etwas anders: Sie sind zum Teilen verpflichtet. Das, was wir Spende nennen, heisst im Hebräischen «Zedaka». Das Wort wird von «Gerechtigkeit» abgeleitet. Denn Juden und Jüdinnen sind verpflichtet, zu teilen und so zur Heilung und Heiligung der Welt beizutragen. Reiche und Arme geben ihren Anteil, jede und jeder nach seinen Möglichkeiten. Selbst die Ärmsten geben. Und was sie geben, gilt nicht als Geschenk. Die Empfangenden haben das Recht auf diese Gabe.

Im Talmud steht eine wunderbare Geschichte: Eine Gemeinde fragt beim obersten Gericht an, wie sie mit einem Mitglied verfahren solle, das seine Zedaka nicht bezahlen will. Er sei Geschäftsmann und reise oft. Die Gelehrten empfehlen, dass die Gemeindeältesten in seiner Abwesenheit einen Teil seines Mobiliars verkaufen sollen. Denn man müsse den Mann von seiner krankmachenden Geldgier befreien und ihn so heilen.

Die acht Stufen des Gebens

Die Zedaka hat verschiedene Stufen, die der berühmte Gelehrte Maimonides ausformuliert hat. Sie stehen für eine abnehmende Qualität der Pflichterfüllung: 1. Höchste Stufe: Dem Bedürftigen die Möglichkeit zu geben, sich selbständig zu ernähren (Hilfe zur Selbsthilfe). 2. Wohltätig sein in einer Weise, dass der Spender und der Bedürftige nicht voneinander wissen. 3. Der Wohltäter weiss, wem er gibt, aber der Arme erfährt nicht von der Identität des Spenders. 4. Der Gebende kennt nicht die Identität des Bedürftigen, aber dieser kennt den Spender. 5. Geben, bevor man gebeten wird. 6. Geben, nachdem man gebeten worden ist. 7. Zwar nicht ausreichend, aber mit Freundlichkeit geben. 8. Mit Unfreundlichkeit geben.

Gott gibt ohne Ansehen

Auf Zedaka kann sich niemand etwas einbilden. Die Empfangenden stehen nicht unter den Gebenden. Denn auch Gott gibt reichlich und ohne Ansehen, und die Menschen sollen ebenso geben wie Er. Sie sollen auf diese Weise die Gräben zwischen Reich und Arm überbrücken, Gerechtigkeit schaffen und Ausgleich. Deshalb müssen auch die ärmsten jüdischen Erwachsenen von dem, was sie bekommen und besitzen, ein Weniges abgeben. Lediglich Nothilfen und Hilfen für die Abwehr von Tod und Krankheit sind davon ausgenommen. Nach dem Grundsatz «Mass für Mass» sind Juden und Jüdinnen verpflichtet, dem Mitmenschen zu geben, dem sie nichts schuldig sind, wie sie von Gott ihr Gut anvertraut bekommen haben, obwohl Gott ihnen nichts schuldet.

Geben verbessert den Charakter

Zedaka liegt in der Verantwortung jedes Juden und jeder Jüdin. Sie ist das Resultat des Bundes mit Gott. Zedaka ist Pflicht, recht und billig. Grosszügigkeit und Wohltätigkeit dagegen zeichnen einen Menschen aus, sie gelten als Tugenden. Doch wenn jemand Zedaka tut, dann gibt er nicht nur, er empfängt auch. Die Weisen erklären, dass die Armen den Spenderinnen und Spendern mehr geben, als sie selber erhalten. Denn die Gebenden ziehen durch ihre Tat Gottes Segen auf sich. Das Geben verbessert ihren Charakter und ihre Persönlichkeit. Und das gilt für alle Menschen, unabhängig von ihrer finanziellen Lage.

Geld muss dem Leben dienen

Darum ist es auch wichtig, oft und immer wieder zu geben, im Training zu bleiben. Im Buch Kohelet heisst es: «Ein schlimmes Übel habe ich gesehen… Reichtum, den sein Besitzer für sich behalten hat, zu seinem Unheil» (5,12).

Geld ist ein Lebensmittel, es muss dem Leben dienen. Judentum ist in unserem Sinne kein Glaube, sondern eher eine Art des Umgangs miteinander nach dem göttlichen Gebot; das beinhaltet auch, Zedaka zu tun – nicht zu geben. Der berühmte jüdische ReligionsphilosophMartin Buber sagte darum, Judentum sei Orthopraxie, Chri-​stentum aber Orthodoxie. Dort spielten die Glaubenssätze eine wichtige Rolle, im Judentum die Praxis.


Weitere Beiträge der Serie «Hebräische Grundbegriffe»

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Abonnieren Sie unseren Newsletter. Er erscheint alternierend zur Printausgabe alle zwei Wochen – immer mit den aktuellsten Horizonte-Geschichten und oftmals spannenden Verlosungen.