14.07.2022

Teil 2/3 der Horizonte-Sommerserie 2022 rund um das Thema «Pilgern»
Es muss ja nicht immer nur der Jakobsweg sein

Von Fabrice Müller, chb

  • Pilgern und spiritueller Tourismus liegen im Trend. Hoch im Kurs steht dabei der Jakobsweg.
  • Es gibt aber noch andere Pilgerwege im deutschsprachigen Raum.
  • Horizonte-Korrespondent Fabrice Müller hat sich den Wallfahrern nach Todtmoos angeschlossen.

Dunkle Nebelschwaden umgarnen die Wälder des Fricktaler Tafeljuras. Angenehme 18 Grad, ein bewölkter Himmel und der Morgentau auf den Gräsern und Stauden in den Gärten von Hornussen erwarten eine muntere Pilgerschar an diesem Morgen zum Start ihrer bevorstehenden Wanderung. 40 Kilometer trennen sie von ihrem Ziel, dem Marienwallfahrtsort Todtmoos im Schwarzwald. «1600 ists man von uhraltem mit creutz und fahnen in das totmoos gegangen», lautet der Eintrag im Jahrzeitenbuch, das im Hornusser Pfarramt lagert. Dieser Satz, insbesondere der Vermerk «von uhraltem» deutet darauf hin, dass der Ursprung dieser traditionellen Wallfahrt wohl geraume Zeit vor dem Jahr 1600 zu datieren ist.

Jedes Jahr am Montag vor Pfingsten treffen sich die Wallfahrtsteilnehmer, nach der Pilgermesse um fünf Uhr und einem kurzen Frühstück, oberhalb des Dorfes Hornussen. Dann geht es los. Ab Kirche Hornussen führt der Weg vorbei an der Rebsiedlung «Fürst» und dann weiter auf der Nebenstrasse in Richtung Ittenthal, einem beschaulichen Dorf mit viel Landwirtschaft, einer Dorfkirche, einem Dorfladen und einer Wirtschaft namens «Sonne». Über Kaisten erreichen sie Laufenburg, die zweigeteilte Stadt; in deren Mitte die steinerne Brücke, die über den Rhein führt und das schweizerische mit dem deutschen Laufenburg verbindet. Die Stadtkirche in der schmucken Wakkerstadt gilt als geomantischer Kraftort. Der heilige Nepomuk segnet und schützt als Brückenheiliger die Passanten und Pilger.

Vorbeter für synchrones Gebet

Im deutschen Laufenburg stossen noch mehr Pilger hinzu. Eine 150 Meter lange Zweierkolonne mit gut 150 Pilgern bewegt sich so Jahr für Jahr bergauf zur Todtmooserstrasse. Die Pilger stammen aus Hornussen, aber auch aus anderen Dörfern des Fricktals und sogar von weiter her. Auf der gesamten Strecke beten die Pilger gemeinsam 32 Rosenkränze. Vorbeter marschieren im Mittelgang zwischen den beiden Kolonnen und sorgen dafür, dass die Gebete synchron erklingen. Dazwischen gilt Schweige- oder auch Freimarsch. An festgelegten Punkten stehen Pausen oder die Mittagsrast auf dem Programm. Bei der Freiwaldkapelle findet der letzte Halt statt, bevor es die kurvenreiche Strecke hinab nach Todtmoos und dann über die Murg- und Kirchbergstrasse hinauf zur Wallfahrtskirche geht.

Gegen Pest und Seuchen

Der Wallfahrtsort liegt auf rund 850 Metern über Meer. Der heutige Fremdenverkehrsort war bis ins 13. Jahrhundert nicht besiedelt. Das Gebiet galt als einsames, totes Moor. 1255 soll dort dem Priester Theoderich mehrmals die Gottesmutter Maria erschienen sein. Sie gab ihm den Auftrag, eine Kapelle zu errichten. Schon bald entwickelte sich der damals noch junge Wallfahrtsort zum wichtigsten seiner Art im Südschwarzwald. Die Hornusser Wallfahrt ist eine der traditionellen Fusswallfahrten dorthin, die sich bis heute erhalten hat. «Früher beteten die Menschen auf der Wallfahrt, um vor der Pest oder anderen Seuchen verschont zu bleiben. In diesem Sinne ist diese Wallfahrt auch ein Versprechen gegenüber Gott», erklärt Karl Herzog, seit 20 Jahren Leiter der Hornusser Wallfahrt und dieses Jahr als Pilger zum 43. Mal dabei.

Die Pilger aus Hornussen treffen in Todtmoos ein, wo sie mit Fahnen und Musik empfangen werden. | Foto: zvg
Als die Pilgergruppe in Todtmoos eintrifft, läuten die Glocken der barocken Wallfahrtskirche «Unserer lieben Frau». Anschliessend ertönen Trompeten- und Orgelklänge zur Begrüssung. Für die Pilger ist die Ankunft in Todtmoos stets ein sehr emotionaler Moment. Das kann auch Karl Herzog bestätigen: «Auch wenn viele Pilgerinnen und Pilger bereits seit Jahren an der Wallfahrt teilnehmen, beobachte ich immer wieder, wie bei einigen die Tränen fliessen, wenn sie in Todtmoos vor der Kirche ankommen und so freundlich empfangen werden.» Die Heimreise wird erst am nächsten Tag in Angriff genommen, denn die eintägige Pilgerwanderung ist körperlich anstrengend. Ab Laufenburg geht es praktisch nur bergauf durch den Hotzenwald. Zwischen Hottingen und Hogschür gilt es, den Katzenstieg über die Landstrasse und durch den Wald zu überwinden. «Das steile Stück wird im Freimarsch begangen», informiert Karl Herzog. Das gemeinsam Beten helfe aber, sagt Herzog, die Strapazen zu vergessen und schneller voranzukommen: «Durch das Beten kommt man in eine Art Trance. Dabei nimmt man die Schmerzen weniger wahr.» Das gemeinsame Unterwegssein verbinde und sei immer wieder ein besonderes Erlebnis. «Viele nehmen seit Jahren an der Wallfahrt teil und kommen immer wieder», freut sich «Pilgervater» Herzog.

Früher nur im Geheimen

Während die Pilgerinnen und Pilger heute frei an dieser Wallfahrt teilnehmen können, mussten sie sich bis vor etwas mehr als 200 Jahren im Geheimen auf diese Prozession begeben, weil sie von der Obrigkeit verboten und sogar mit Gefängnisstrafen belegt worden war. Deshalb traf man sich ausserhalb des Dorfes, und bei Laufenburg löste sich der Zug zwischenzeitlich wieder auf, um nicht aufzufallen. Heute ist die Hornusser Wallfahrt legal unterwegs. Trotzdem wird sie – wie von Beginn an – von Laien und nicht von Klerikern organisiert; auch wenn die Kirche heute selbstverständlich hinter dieser Wallfahrtstradition stehen kann, wie Karl Herzog betont.

Vom Pilgervirus befallen

Agnes Oeschger (vorne rechts) mit drei Pilgergefährten während einer Verschnaufpause auf dem Jakobsweg in Frankreich. | Foto: zvg
Bernhard Lindner, Mitarbeiter der Fachstelle Bildung und Propstei der Katholischen Landeskirche Aargau, organisiert seit 2003 regelmässig Pilgerreisen. Im Mai dieses Jahres war er mit einer Gruppe auf dem Jakobsweg von Limoges nach Périgueux unterwegs. Mit dabei war auch Agnes Oeschger aus Windisch. Die 70-Jährige ist eine erfahrene Pilgerin. So hat sie unter anderem auch den Jakobsweg durch Spanien gemeistert. Für die Ökumenische Pilgergruppe Windisch organisiert sie regelmässig Pilgerwanderungen. «Ich bin gerne zu Fuss unterwegs, alleine oder in der Gruppe. Es war schon immer mein Traum, den Jakobsweg bis nach Santiago unter die Füsse zu nehmen.» Begeistert erzählt die topfitte Pensionärin von der Pilgerreise durch Frankreich, vom Zusammenhalt in der Gruppe, von den guten Gesprächen unter-​einander und vom Gefühl, es trotz aller Strapazen geschafft zu haben.

Sie sei zwar körperlich an ihre Grenzen gestossen, aber: «Die Anstrengungen haben sich gelohnt und wirken immer noch nach. Ich bin gelassener geworden, habe Vertrauen in das Leben und fühle mich geborgen bei Gott. Das ist das schönste Geschenk für mich.» Vom Pilgervirus befallen, so berichtet Agnes Oeschger mit einem Schmunzeln im Gesicht, schmiede sie bereits ihre näch-sten Pilgerpläne. Es sei ein grosser Traum von ihr, den 600 Kilometer langen Olavsweg in Norwegen zu bestreiten. Der Hauptpfad führt von Oslo nach Trondheim zum Nidarosdom. Die Wanderung nimmt mindestens 32 Tage in Anspruch. «Alleine möchte ich diese Pilgerreise allerdings nicht unternehmen», betont Agnes Oeschger.

Zwei Wanderungen und ein Vortrag

Der Meinradweg führt vom deutschen Rottenburg über Hechingen, Beuron und Reichenau ins schweizerische Fischingen und nach Einsiedeln, dessen Benediktinerkloster der grösste Wallfahrtsort der Schweiz ist. Der Meinradweg ist auch ein Pilgerradweg. Die ca. 280 Kilometer lange Strecke umfasst vier Tagesetappen von je viereinhalb bis acht Stunden Fahrzeit; auch machbar in fünf Tagesetappen von je zwei bis sechs Stunden. www.meinradweg.com

Die 7. Aargauer Kapellenwanderung startet dieses Jahr am Samstag, 17. September, in der Kirche St. Katharina in Kaiserstuhl. Sie führt über die Friedhofskapelle zur Agathakapelle von Fisibach und der Annakapelle in Rümikon. Über die Sebastianskapelle von Mellstorf gelangt man zur Propstei Wislikofen. Infos und Anmeldung: info@propstei.ch, Tel. 056 201 40 40.

Der Vortrag «Faszination Pilgern» vermittelt Eindrücke vom Aufbrechen aus der gewohnten Umgebung, der Ruhe des Gehens in der Natur und der Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen. All das bietet die Chance, den Alltag zu verlassen, abzuschalten und dem Leben eine neue Richtung zu geben. Was brauche ich wirklich? Wo soll es hingehen? Was und wer trägt mich? Bernhard Lindner von der Fachstelle Bildung und Propstei der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau skizziert Geschichte und Ursprünge der Pilgertradition und beleuchtet, wie es Menschen in der Einfachheit des Pilgerns gelingt, sich Grundfragen des Lebens zu stellen, neue Beziehungen zu knüpfen und Gott in ihrem Leben zu entdecken. Dienstag, 30. August, 19.30 Uhr, kath. Pfarreizentrum, Schulstrasse 5, 4332 Stein AG. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung ist nicht notwendig.


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