28.07.2022

Teil 3/3 der Horizonte-Sommerserie 2022 rund um das Thema «Pilgern»
Mit der Natur bei Gott sein

Von Fabrice Müller, chb

  • Entlang des Hochrheins führen zwei Pilgerwege zu unterschiedlichen Zielen: der Hochrhein-Jakobsweg und die Via Columbani.
  • Beide Wege locken mit ebenso historisch wie auch spirituell bedeutsamen Orten.
  • Drei Wegzeugen berichten von ihren Erfahrungen im letzten Teil unserer Horizonte-Sommerserie 2022.

Besonders in den warmen Monaten ist ​das Pilgern entlang des Rheins eine wahre Wohltat. Das Klima ist im Uferbereich immer angenehm kühl, schliesslich wird ein Grossteil des Flusslaufs von schattigen Wäldern flankiert. Zudem weht stetig ein leichtes Lüftchen, und an verschiedenen Stellen lockt ein erfrischendes Bad im Fluss. Wer nicht gleich mehrere Wochen als Pilgerin oder Pilger unterwegs sein will, hat die Möglichkeit, zum Beispiel auf dem Abschnitt zwischen Laufenburg und Basel während eines oder auch mehrerer Tage Pilgerluft zu schnuppern. Hier gelangt man zu historischen Städten, die auch spirituelle Spuren hinterlassen haben.

Zwei Wege, zwei Richtungen

In der Hochrheingegend begegnen sich gleich zwei Pilgerwege, die an ebensolchen historisch und spirituell bedeutsamen Or-​ten vorbeiführen, jedoch genau in entgegengesetzter Richtung verlaufen. Rheinabwärts führt der Hochrhein-Jakobsweg, der in Kreuzlingen beginnt und in Basel endet. Wer länger pilgern will, nimmt vom Rheinknie aus zum Beispiel den Drei-Seen-Weg nach Payern (VD) und geht von da aus weiter durch die Romandie nach Genf. Dort gibt es einen Anschluss an den französischen Jakobsweg.

Exakt in die andere Richtung verläuft der Kolumbansweg als Teil des europäischen Kulturwegs Via Columbani. Mit der Via Columbani soll der 8000 Kilometer lange Weg nachgebildet werden, den der irische Mönch Kolumban mit seinen zwölf Gefährten am Ende des 6. Jahrhunderts von Bangor in Nordirland nach Bobbio in Norditalien gewandert ist. Der Schweizer Weg beginnt in Basel und führt in mehreren Etappen durch Rheinfelden, Laufenburg, Koblenz, Baden und Zürich bis nach Chiavenna in der Lombardei.

Kirche als Kraftort

Start in Laufenburg. Das 1985 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnete Städtchen besticht durch seine malerische Altstadt, die Burg und seine Stadtkirche Johannes der Täufer, die sich heute im spätgotischen Stil präsentiert. Die Kirche gilt ausserdem als geomantischer Kraftort. Vermutlich vom begüterten Frauenkloster Säckingen (D) in Auftrag gegeben, dürfte die Kirche noch vor der Stadtgründung (1248) gebaut worden sein. Klein- und Grosslaufenburg sind durch den Rhein getrennt, waren jedoch bis zur Gründung des Kantons Aargau 1803 eine Stadt.

Der Pilgerweg führt nach Laufenburg rheinabwärts, vorbei am Flusskraftwerk und entlang eines weitgehend stark bewaldeten Ufers. Das deutsche Städtchen Bad Säckingen, etwa eine Stunde zu Fuss von Laufenburg entfernt, bietet sich ideal für eine Mittagsrast an. Vom schweizerischen Stein aus ist Bad Säckingen über die längste gedeckte Holzbrücke Europas erreichbar. In dieser Stadt hat der heilige Fridolin vermutlich im sechsten Jahrhundert als einer der ersten irischen Missionare im Land der Alemannen seine Wirkungsstätte gefunden. Er veranlasste nicht nur den Bau eines Klosters, sondern auch die Errichtung des heutigen Münsters.

Schatzkammer des Fricktals

Der Rhein schlängelt sich zuerst in einer Links- und dann in einer starken Rechtskurve um Bad Säckingen. Der Pilgerweg führt vorbei an den Dörfern Mumpf, Wallbach und Möhlin, wiederum mehrheitlich durch bewaldetes Gebiet und entlang lieblicher Auen. Als nächster Etappenort folgt Rheinfelden. Die älteste Zähringerstadt der Schweiz, 1130 gegründet, wurde 2016 mit dem Wakkerpreis geehrt und verfügt mit der christkatholischen Martinskirche über ein rund tausend Jahre altes Bauwerk.

Diese üppig ausgestattete «Schatzkammer des Fricktals», wie sie die Einheimischen nennen, umfasst alle kunsthistorischen Epochen von der Romanik bis zum Dixhuitième, wobei im Innenraum Barock- und Rokoko-Elemente dominieren. Von 1228 bis 1870 diente die Kirche als Chorherrenstift. Auf dem letzten Streckenabschnitt des Hochrhein-Jakobwegs lockt Basel als Kultur- und Wirtschaftsmetropole. Zuvor jedoch durchqueren die Pilger Kaiseraugst mit der Römerstadt Augusta Raurica sowie die Baselbieter Gemeinden Pratteln, Muttenz und Birsfelden, wo der Fluss Birs aus dem Laufental in den Rhein mündet.

Eine Art Meditation

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Pilgern beginnt mit der Sehnsucht nach mehr. Dieses schön gestaltete Pilgerbuch von Josef Schönauer geht über einen klassischen Pilgerführer hinaus. Es nähert sich aus verschiedenen Perspektiven der Faszination Pilgern an und hilft, Zusammenhänge zu verstehen.
Schönauer, Josef: Pilgern erdet und himmelt. Verlag Format-Ost, Schwellbrunn 2021, 240 Seiten, Fr. 38.–, ISBN: 978-3-03895-026-4

Was fasziniert die Menschen am Pilgern? «Wenn ich alleine pilgere, kann ich abschalten und ganz bei mir sein», erzählt Josef Nietlispach aus Muri von seinen Erfahrungen als Pilger. Pilgern sei stets auch eine Begegnung mit sich selbst und mit der Natur. Am Pilgern in der Gruppe schätzt der 73-Jährige, neue Menschen kennenzulernen und gute Gespräche zu führen. «Das regelmässige Pilgern hat mir geholfen, ruhiger und gelassener zu werden – trotz zum Teil anstrengender Wegstrecken», ergänzt Nietlispach, der sich selber als «gut trainiert» bezeichnet.

2020 pilgerte er auf dem Bündner Jakobsweg von Müstair nach Chur. Ein Jahr später von Chur nach Disentis und weiter bis Oberwald (VS). Hinzu kommen kürzere Pilgerwanderungen wie etwa der Schaffhauser-Zürcher-Weg von Schaffhausen nach Rapperswil (SG), mit Verlängerung bis Einsiedeln, oder die Freiämter Fusswallfahrt von Muri nach Einsiedeln. Dieses Jahr war er mit der Pilgergruppe von Bernhard Lindner von der Katholischen Landeskirche Aargau auf dem französischen Jakobsweg zwischen Limoges nach Périgueux unterwegs. «Das Pilgerfieber hat mich gepackt. Ich erlebe das Pilgern wie eine Art Meditation. Pilgern bedeutet für mich, mit der Natur bei Gott zu sein.»

Blick in Lebensrucksäcke

Auch für Cornelia Bugmann aus Böttstein ist die Pilgerreise etwas Besonderes. Man sei wie in einer anderen Welt, weg vom hektischen Alltag. «Im Einklang mit der Natur setzt man sich mit sich selbst auseinander. Ich kam auf dem Jakobsweg in Frankreich körperlich an meine Grenzen, schaffte es aber am nächsten Tag immer wieder, weiterzugehen.» Den Kontakt in der Gruppe mit Gleichgesinnten erlebte Cornelia Bugmann als «sehr bereichernd». Hinzu kommt: «Neben dem Rucksack, den ich mit meinem Hab und Gut stets mitgetragen habe, habe ich auch etwas in die Lebensrucksäcke von anderen Teilnehmenden schauen dürfen. Es gab in vielerlei Hinsicht Denkanstösse.» Mit wie wenig man weiterkommt und wieviel Kraft man mobilisieren kann, habe sie auf der Reise gelernt. An den jeweils herzlichen Empfang in den Herbergen erinnere sie sich sehr gerne. Ebenso an die grosse Hilfsbereitschaft innerhalb der Gruppe.

Erlebtes im Alltag umsetzen

Erwin Aecherli suchte beim Pilgern auf dem Jakobsweg durch Spanien im Jahr 2021 unter anderem Antworten auf seine Frage, ob er in der Schweiz – wo er seit 35 Jahren lebt – bleiben oder in seine Heimat Kolumbien zurückkehren soll. «Ich habe viel von dieser Pilgerreise profitiert, persönlich wie auch im geistig-spirituellen Bereich», kommt der 67-Jährige aus Bremgarten zum Schluss. Das einfache Leben aus dem Rucksack, beschränkt auf wenige Dinge, habe ihm vor Augen geführt, wie wenig man zum eigenen Glück brauche. Weil er selber viel wandere und jogge, sei die dreiwöchige Pilgerreise körperlich für ihn kein Problem gewesen, abgesehen von einer paar Blasen an den Füssen. Erwin Aecherli habe ebenso die Begegnungen mit anderen Menschen, sei es aus der Schweiz, Italien oder Spanien, sehr geschätzt. Auch die Landschaften, Brücken, Gewässer und die Gastronomien haben bei ihm «unver-​gessliche Erinnerungen» hinterlassen. Als eine weitere schöne Erfahrung erlebte der Pilger die gegenseitige Hilfsbereitschaft in der Gruppe. «Vieles, was ich beim Pilgern erlebt und mir überlegt habe, kann ich jetzt im Alltag umsetzen.»

Zwei weitere Pilgerhinweise

Afrikanische Wallfahrt nach Einsiedeln
Am Samstag, 27. August, pilgern die Afrikanerinnen und Afrikaner der Schweiz zusammen mit Freunden des afrikanischen Kontinents zum 12. Mail zur schwarzen Madonna von Einsiedeln. Es werden gegen 300 Pilgerinnen und Pilger erwartet. Mehrere afrikanische Chöre werden den Anlass musikalisch untermalen. Die aktuellen Angaben sind noch nicht auf der Website von Africath zu finden, aber es gelten dieselben Kontaktdaten wie im letzten Jahr. Auskünfte erteilt auch Gesamtkoordinator Marco Schmid unter: info.africath@yahoo.com.
Pilgerreise auf dem Spanischen Jakobsweg
Vom 1. bis 16. Oktober führt Bernhard Lindner, Theologe und Lebenspilger von der Fachstelle Bildung und Propstei der Katholischen Landeskirche Aargau, wieder eine Pilgergruppe über den Caminho Portugues von Porto nach Santiago de Compostela. Informationen und Anmeldung direkt hier.


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