28.10.2021

Interview mit Roman Hofer, Horizonte-Jahreskünstler 2020/21
«Wir verkommen zu einer Empörungsgesellschaft»

Von Christian Breitschmid

  • Im vergangenen Kirchenjahr hat der Badener Cartoonist und Künstler Roman Hofer die Titelseiten des Pfarrblatts Horizonte mit seinen Zeichnungen zu den Kirchenfesten gestaltet.
  • Das Wagnis, kirchliche Feste und deren Inhalte aus der Sicht eines Satirikers gezeichnet und beschrieben zu sehen, kam bei der Leserschaft nicht nur gut an.
  • Im Interview zu seinen Erfahrungen als Horizonte-Jahreskünstler spricht Roman Hofer über die Herausforderungen und die Erkenntnisse, die er meistern und gewinnen durfte.

Herr Hofer, der letzte Cartoon ist gemacht, der letzte Text dazu geschrieben. Wie beurteilen Sie rückblickend Ihre Erfahrungen als Horizonte-Jahreskünstler?
Roman Hofer: Es war für mich eine spannende Reise mit offenem Ausgang. Jetzt, am Ende dieses Abenteuers, kann ich sagen, dass ich auf diesem Weg viele wertvolle Momente der Selbsterkenntnis erleben durfte; angenehme wie auch befremdende. Es war interessant für mich, zu erfahren, wie es sich anfühlt, exponiert und den Launen der Lesenden ausgesetzt zu sein. Ich möchte diese Erlebnisse nicht missen. Sie haben mir geholfen, mich zu entwickeln.

War diese Aufgabe nun schwerer oder sogar leichter als vor einem Jahr erwartet?
Im eigentlichen Sinn hatte ich keine Erwartungen. Im besten Fall die Hoffnung, dass die Menschen meinen Humor verstehen und darüber schmunzeln. Die Aufgabe war anspruchsvoll, weil ich wusste, dass Religion und Cartoons eine explosive Mischung sein kann. Vor diesem Hintergrund achtete ich stärker darauf, ob meine Umsetzungen die Gläubigen in Rage versetzen oder verletzen könnten. Ansonsten war es für mich nicht schwieriger oder leichter, eine Pointe zu kreieren als bei anderen Themen.

Der Cartoon, den Roman Hofer für die Osterausgabe von Horizonte vorgeschlagen hat, wurde kurz vor Drucklegung zurückgezogen. | Bild: Roman Hofer
Ihr Cartoon zu Ostern wurde vom Horizonte-Vorstand kurz vor Drucklegung zurückgenommen. Was ging da in Ihnen vor?
Ich hab schon damit gerechnet, dass meine Cartoons nicht überall auf Wohlwollen stossen würden. Als es dann tatsächlich zur Zensur eines Sujets kam, war ich aber doch einigermassen erstaunt. Vor allem, weil ich keinen wirklich angreifbaren Punkt im Ostercartoon sehen konnte. Im Gegenteil. Es war ja eine Eins-zu-eins-Umsetzung des biblischen Inhalts, dass Jesus den Tod überwunden hat. Mir ist auch aufgefallen, dass mein jeweiliger Begleittext zu den Cartoons wohl nicht wirklich gelesen wurde. Denn in meinen Gedanken zu den christlichen Hochfesten habe ich, aus meiner Sicht, als Kontrapunkt viel Denkstoff mit Tiefgang einfliessen lassen.

Einzelne Horizonteleser bekundeten Mühe damit, christliche Hochfeste im Cartoonstil interpretiert zu sehen. Sie warfen Ihnen und der Redaktion sogar Blasphemie und Häresie vor. Was sagen Sie dazu?
Es dünkt mich, dass wir mehr und mehr zu einer Empörungsgesellschaft verkommen. Egal, welche Thematik, ob Politik, Wirtschaft, Religion… Die Menschen neigen aus meiner Sicht dazu, reflexartig auf von ihren abweichende Meinungen zu reagieren und dann ihrer Entrüstung Luft zu machen, oft unreflektiert und ohne sich wirklich vorgängig auf das Thema eingelassen zu haben. Das hat ein gravierendes Ausmass angenommen. Es ist eine Tendenz welche den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährlich erodieren lässt. Ohne Toleranz, Respekt und Anstand kann eine Gemeinschaft, egal welcher Art und Zusammensetzung, nicht funktionieren.

Viele, vor allem auch jüngere Menschen, haben gerade wegen Ihrer Zeichnungen überhaupt einmal das Pfarrblatt angeschaut. Können Cartoons also Türöffner sein zu religiösen Themen?
Ich hatte einige Reaktionen von Menschen zwischen 18 und 25, welche zum ersten Mal das Horizonte in die Hand nahmen. Das hat mich gefreut. Jüngere Menschen sollte man aus meiner Erfahrung schon zielgruppengerecht ansprechen. Da kann Humor ein Element sein, welches das Interesse für religiöse Themen wecken kann.

Hat die Horizonte-Erfahrung Ihren Umgang mit cartoonfähigen Themen irgendwie verändert?
Nein. Ich war mir ja bereits im Vorfeld bewusst, dass Religion ein sensibles Thema ist. Genauso, wie zum Beispiel Themen rund um Sexualität, Behinderung oder Armut. Das ist, je nachdem, wer die Themen überzeichnet und zu Papier bringt, sehr dünnes Eis. Es erfordert einiges an Fingerspitzengefühl.

Wie cartoonfähig sind denn religiöse Themen? Darf man christliche Hochfeste, die Dreifaltigkeit, Maria oder andere Heilige überhaupt karikieren?
Ich denke, ja. Da ich selber ein spiritueller Mensch bin und an unsere Anbindung an etwas Grösseres glaube, wäre ich ja dumm, wenn ich meinen eigenen Überzeugungen in den Rücken fallen und sie lächerlich machen würde. Aber die Leichtigkeit, welche im Humor steckt, hilft, aus meiner Erfahrung, die zeitweise Schwere des irdischen Daseins aufzulockern.

Was könnte die katholische Kirche in ihrer Verkündigung und in der öffentlichen Wahrnehmung von Ihnen, den Cartoonisten, lernen?
Vielleicht genau dies, dass nämlich die Menschen durchaus empfänglich sind für leichte Momente. Dass eine Prise Humor manchmal den Staub des Alltags wegblasen kann, ohne dass es dabei seicht werden muss. Das Leben der meisten Menschen ist zeitweise belastend, und heitere Augenblicke können da manchmal wie das Salz in der Suppe sein.

Roman Hofer beschäftigt sich in seiner Kunst auch auf andere Weise mit den Sinnfragen des Lebens. Hier ein Bild aus der Reihe «Tracks Of Life». | Foto: Christian Breitschmid
Was haben Sie als Cartoonist und Privatperson Roman Hofer von der Religion oder den Religionen gelernt?
Sie hat mein Bewusstsein geschärft, dass, obwohl wir nun im Jahr 2021 leben, sich gewisse Dinge nur sehr schleppend, wenn überhaupt ändern. Wir wissen ja, dass auch die katholische Glaubensgemeinschaft äusserst heterogen zusammengesetzt ist. Das ist keine Einheit. Die Strömungen gehen von sehr konservativ bis progressiv. Darin eine Entwicklung voranzutreiben, ist eine Herkulesaufgabe. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Konsenswillen zwischen den unterschiedlichen Kräften innerhalb der Kirche gibt. Was mir wieder verstärkt aufgefallen ist: wie menschlich es doch auch in der Kirche zu und her geht. Und wie anspruchsvoll es ist, nicht zu vergessen, das Wort Gottes selber glaubwürdig vorzuleben. Wie heisst es doch so schön in der Bibel: «Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.»

Welchen Cartoon zu einem aktuellen Thema in der Kirche oder des Weltgeschehens würden Sie noch gerne zeichnen?
Hm, eine gute Frage. Mich beschäftigt das verstärkte Auseinanderfallen der Gesellschaft. Die Corona-Geschichte zeigt, wie rasend schnell eine Spaltung  der Menschen passieren kann. Das finde ich sehr beunruhigend. Gleichzeitig bietet sich genau hier die Möglichkeit für einen Cartoonisten, den Finger auf eine offene Wunde zu halten und sie zu thematisieren, ohne dabei zu moralisieren.


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